Zwischen autoritär und laissez-faire

Unsicherheit in Erziehungsfragen

Eltern schauen sich mit ihrem Sohn ein Buch an
Entwicklung und Erziehung
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von Christine Kammerer

Die Suche nach dem richtigen Maß zwischen Autorität und Toleranz in Erziehungsangelegenheiten ist keineswegs nur ein Thema unserer Zeit. Sie prägt die Geschichte der Pädagogik und bewegt sich dabei zwischen extremen Polen: Die einst stark hierarchisch geprägten Strukturen sind heute eher liberalen, demokratischen Einstellungen gewichen und orientieren sich stärker an den kindlichen Bedürfnissen. Nicht selten kann man allerdings heute auch das Fehlen jeglicher Struktur in der Erziehung beobachten. Viele Kinder werden nicht angeleitet, sondern einfach sich selbst überlassen. Dieses Laissez-faire richtet mitunter genauso viel Schaden an wie eine allzu rigide Haltung der Eltern.

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Erziehung im Wandel

In der Vergangenheit zielte das Aufstellen von Regeln und Grenzen auf eine Anpassung an die gesellschaftlichen Normen ab. Dabei schreckte man nicht vor autoritären Erziehungsmethoden zurück. Heute genießt bei uns in Mitteleuropa die Entwicklung der Individualität einen hohen Stellenwert. Kinder sollen zu eigenständigen Persönlichkeiten heranreifen und in ihrer ganz besonderen Eigenständigkeit anerkannt und gefördert werden. Der autoritäre Erziehungsstil, ist damit nicht vereinbar. Er beinhaltete strikte Regeln, die konsequent einzuhalten waren – auch unter Anwendung von Zwang. Heute lässt man Kinder gewähren. Ihren Bedürfnissen wird oberste Priorität eingeräumt. Die Eltern sind dabei jedoch oft stark verunsichert, so dass das Pendel nicht selten ins andere Extrem ausschlägt: Eltern fürchten, ihre Kinder in der individuellen Entfaltung zu behindern. Sie haben Angst, ihnen dadurch zu schaden und setzen ihnen aus diesem Grund kaum noch Grenzen.

Zusammenleben basiert auf Regeln

Das Laissez-faire in der Erziehung ist nicht unbedenklich und wird von fachkundiger Seite durchaus kritisch betrachtet. Unser soziales Zusammenleben in einer Gesellschaft basiert nun einmal auf dem Anerkennen der persönlichen Grenzen anderer. Es kann nur gelingen, wenn wir diese Grenzen gegenseitig wahren. Menschen, die solche Erfahrungen in ihrer Kindheit nicht gemacht haben, reagieren häufig mit Frustration oder Aggression, wenn ihnen Grenzen gesetzt werden. Eltern sollten daher ihre Kinder authentisch und liebevoll anleiten. Das bedeutet in Anlehnung an der Familientherapeuten Jesper Juul, dass sie weder autoritär Regeln vorgeben noch versuchen, das Kind durch Machtausübung zu formen, sondern vielmehr durch das authentische Vermitteln und Aufzeigen der eigenen Grenzen einen Orientierungsrahmen schaffen.

Eltern wissen, wie es geht

Menschen sind biologische und zugleich vernünftige Wesen. Sie können sich als solche auf ihre gesunden Instinkte und ihr Erfahrungswissen verlassen. Es ist oft gar nicht notwendig, zig Erziehungsratgeber zu studieren, denn diese verunsichern und verwirren häufig mehr, als zu unterstützen. Eltern haben in aller Regel ein gutes Gefühl dafür, was richtig ist und was nicht und sie können wieder lernen, darauf zu vertrauen. Es ist für alle Beteiligten eine wichtige Erfahrung, wenn Eltern die Wut eines Kindes aushalten. Man wird dabei schlicht erkennen, dass der Ärger irgendwann verpufft und nicht dazu führt, dass Vater, Mutter oder Kind die Liebe der anderen Familienmitglieder verlieren. Vielmehr wird dadurch eine neue Ebene in der Beziehung zwischen Eltern und Kind hergestellt: Sie ist künftig von mehr Respekt getragen  und bestimmte Grenzen werden anerkannt. Das liegt an einer einfachen Gesetzmäßigkeit: Kinder wollen die Nähe ihrer Eltern spüren. Sie suchen deren Kontakt, provozieren jedoch auch Brüche, die Distanz aufkommen lassen. Dadurch spüren sie die ansonsten so vertraute Nähe manchmal um so deutlicher.

Fazit: Kinder brauchen Orientierung

Die Familie sollte ein sicherer Raum sein, der auch bei Kummer und Sorgen Zuflucht bietet. Dieser Raum hat feste Grenzen, einen definierten Rahmen und bietet gleichzeitig ausreichend Freiraum zur persönlichen Entfaltung. Erste Regeln des Zusammenlebens ergeben sich aus dem Spiel zwischen Nähe und Distanz. Das Kind lernt dabei zu unterscheiden: Wo liegen die eigenen Grenzen, wo die der anderen Menschen meiner Familie? Sie lernen das spielend und fast automatisch, wenn Eltern zugewandt, liebevoll und authentisch sind. Kinder wollen sich sicher und geliebt fühlen dürfen. Dazu brauchen sie einen geborgenen Kontext mit klaren Regeln und verbindlichen Strukturen. Eltern sollten sich selbst die Grundsätze ihrer Erziehung bewusst machen. Sie sollten dabei immer das Wohl des Kindes und das Wohl der Familie vor Augen haben. Dann können sie auch Verantwortung für ihre Entscheidungen übernehmen und diese klar kommunizieren. Kinder lernen dadurch, die Grenzen anderer zu akzeptieren und zu respektieren und - was beinahe noch wichtiger ist: Sie lernen, die eigenen Grenzen kennen, können sie benennen und gegenüber anderen die Einhaltung dieser einfordern., dass diese sie einhalten. Das schützt  sie im späteren Leben vor Grenzüberschreitungen anderer.

Jesper Juul: „Leitwölfe sein – Liebevolle Führung in der Familie“. Die Stimme der Vernunft in Erziehungsfragen

https://www.deutschlandfunkkultur.de/jesper-juul-leitwoelfe-sein-liebevolle-fuehrung-in-der-100.html

Grenzen setzen in der Erziehung

https://www.familienhandbuch.de/babys-kinder/erziehungsfragen/grenzen/grenzensetzenindererziehung.php

Dürfen die denn alles? Warum so viele Eltern ihre Kinder nicht mehr im Griff haben

https://www.stern.de/familie/kinder/paedagogik--warum-die-erziehung-unserer-kinder-heute-so-schwer-ist-8965258.html

Kindern Grenzen setzen – nur, wie?

https://www.derstandard.de/consent/tcf/story/2000129430009/kindern-grenzen-setzen-aber-wie

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Themen:
Erziehung
Autorität
Regeln
Orientierung
Über den Autor/die Autorin
Foto Christine Kammerer

Christine Kammerer, Politologin M. A., Heilpraktikerin (Psychotherapie), freie Journalistin und Trainerin. Berufliche Stationen: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Bundeszentrale für politische Bildung, Deutscher Kinderschutzbund.

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