Mehr Stille für Kinder

Entwicklung und Erziehung
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von Hildegard Dierks

Immer mehr Kinder und Jugendliche leiden an Kurzsichtigkeit. Wie aber steht es um das Hören und die Hörfähigkeit unserer Kinder? Wie vielen Lärmquellen sind unsere Kinder ausgesetzt? Haben Kinder genügend Zeit für Stille und Ruhe? Mit mehr Stille für Kinder ist keine Grabesruh gemeint, sondern ein Lärmpegel, der mit der Gesundheit von Kindern vereinbar ist. Viel Lärm macht uns alle krank. Was kann man tun?

Lesedauer:
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Immer mehr Kinder und Jugendliche leiden an Kurzsichtigkeit. Wie aber steht es um das Hören und die Hörfähigkeit unserer Kinder? Wie vielen Lärmquellen sind unsere Kinder ausgesetzt? Haben Kinder genügend Zeit für Stille und Ruhe? Mit mehr Stille für Kinder ist keine Grabesruh gemeint, sondern ein Lärmpegel, der mit der Gesundheit von Kindern vereinbar ist. Viel Lärm macht uns alle krank. Was kann man tun?

Lärm instinktiv meiden – Beispiele

In der deutschen Sprache bedeutet „Krach“ zweierlei: 1. Ärger, 2. Lärm. Ärger und Lärm möchten wir möglichst wenig haben.
Beobachten wir unsere Umgebung, können wir Interessantes feststellen.
In der Fernsehsendung „Tiere suchen ein Zuhause“ im WDR wurde besprochen, wie sich durch die Aufnahme eines Hundes das Familienleben änderte.
Jemand berichtete, dass der neue Familienhund immer den Raum verließ, wenn die Kinder sehr laut waren. Lärm vertrieb den geliebten Hund. Die Kinder bemerkten es und bemühten sich darum, leiser zu sein. Jeder Hundebesitzer weiß, dass Silvesternächte für „Bello“ eine Strapaze sind.
Wir wissen aus unserem Alltag auch, dass kleine Kinder weinen, wenn es knallt oder sehr laut ist. Kindergarten- und Grundschulkinder halten sich spontan die Ohren zu, um sich vor großem Lärm zu schützen. Grundschullehrer(-innen) erleben, dass insbesondere Kinder, die gerade eingeschult wurden, sich über die Lautstärke im Klassenzimmer beschweren und fordern nach Hause gehen zu können.
Lärm, den wir selbst machen, stört uns jedoch nicht so sehr wie der, der anderen.

Schwerhörigkeit und andere Beeinträchtigungen durch Lärm

Der Deutsche Berufsverband der Hals- Nasen- Ohrenärzte weist auf seiner Internetpräsenz darauf hin, dass immer mehr Jugendliche sich eine dauerhafte Schwerhörigkeit zuziehen.
Nicht immer meiden wir einen hohen Geräuschpegel. Manchmal suchen wir ihn geradezu.
Anhaltender, lauter Musikkonsum über Kopfhörer sowie auf Life-Konzerten wird bei Kindern und Jugendlichen als Ursachen für eine zunehmende Schwerhörigkeit angegeben.
Das sollte uns beunruhigen. Immer mehr wissenschaftliche Belege zeigen, dass Lärm auch in anderer Hinsicht krank macht. Lärm ist eine Art Umweltverschmutzung. Er schädigt unseren Körper und unsere Seele.
Herz- und Kreislauferkrankungen sowie Bluthochdruck werden durch zu viel Lärm verursacht.
Für den Alltag von Schülerinnen und Schüler sind vor allem lärmbedingte schlechte Konzentrations- und Merkfähigkeit von Bedeutung. Zu viel Lärm macht außerdem Angst.
Neben Verkehrslärm erzeugt durch Autos und Flugzeuge, hat die WHO im Oktober 2018 auf den schädigenden Lärm, der von Windrädern ausgeht, aufmerksam gemacht. Von all diesem Lärm sind Kinder betroffen.
Kinder und Jugendliche besuchen darüber hinaus laute Veranstaltungen in ihrer Freizeit. Es sind nicht nur Konzerte, sondern auch Fitnesskurse, Freizeitparks mit viel Animation oder Open Air-Sportveranstaltungen, beispielsweise Fußballspiele.

Ideen für Ruheräume

Kinder verbringen immer mehr Zeit in der Schule. Wo aber können Kinder und Jugendliche in der Schule zur Ruhe kommen und Stille erfahren?
Wie ist es in den Pausen, in der Sporthalle, der Mensa oder in den Aufenthaltsräumen? Kinder brauchen nicht nur Bewegung in den Pausen, sie brauchen auch Rückzugsmöglichkeiten.
In Kitas werden Ruheräume zunehmend selbstverständlich. Auch für Grundschulkinder, die das Angebot von Ganztagsschulen wahrnehmen, gibt es manchmal Ruheräume.
Bei der Gestaltung von Ruheräumen, ist ein stark reduzierter Lärmpegel nur ein Faktor unter vielen, der die Entspannung der Kinder erleichtert. Die leisen Töne sind eingebettet in ein Entspannungskonzept.
Aus ihrer Altenpflegearbeit und ihrer Arbeit mit Menschen mit Behinderungen entwickelten zwei holländische Zivildienstleistende das Konzept der sog. Snoezelenräume. Elemente davon kann man auch in der Schule für die Einrichtung von Ruheräumen anwenden. Leise meditative Musik gehört in einen Ruheraum. Weitere Gestaltungsmöglichkeiten wie bequeme Sitz- und Liegemöglichkeiten, verschiedene Lichtquellen sowie eine entspannende Farbgestaltung, befördern Ruhe und Entspannung. Auch mit Aromen, die man aus der Aromatherapie kennt, kann gearbeitet werden. Lavendel mildert beispielsweise Angst.
In diesen Räumen können Kinder erleben, dass Ruhe gut für sie ist, sie konzentrierter und gesprächsbereiter werden. Dort können sie „auftanken“, beispielsweise für die nächste Arbeitsphase am Nachmittag.
Anregungen zur Einrichtung eines solchen Raumes kann man beispielsweise auf dem Internetportal für Alternative Pädagogik und Privatschulen besser-bilden.de finden.
Ohne Frage kosten Ruheräume Geld. Außerdem müssen Ruheräume von pädagogischem Personal beaufsichtigt werden. Je nach Bedürfnissen der Besucherinnen und Besucher des Raumes können und sollten die Räume verändert werden.
Ein Ruheraum der sich stärker an den sog. Snoezelenräumen orientiert, kann einen Beitrag zur Inklusion leisten. Die Anzahl der Grundschulkinder, die in der Betreuung anspruchsvoll sind, nimmt zu.
Die Vorzüge von Ruheräumen sind leicht nachvollziehbar. Manchmal scheitern jedoch alle Ideale bereits an den geltenden Brandschutzbestimmungen in Schulen. So manches Sofa, das in einer ruhigen Ecke in der Schule steht, wird aus Brandschutzgründen entfernt.

Besserer Schallschutz in Schulen

Viele Schulen sollen und werden in den nächsten Jahren umgebaut, erneuert und saniert werden.
Mit den Umbaumaßnahmen ergibt sich die Chance, den Schallschutz in Schulen zu verbessern.
Immer häufiger werden Büroräume in großen Firmen bereits nach Schallschutzkriterien eingerichtet, um die Gesundheit der Mitarbeiter/-innen zu erhalten. Man arbeitet mit Deckenverkleidungen, die Lärm aufnehmen oder mit sog. Akustikbildern an den Wänden, um Dröhnen und Hall oder andere Hintergrundgeräusche zu verringern. Schulen haben in dieser Hinsicht noch Nachholbedarf.
Geht es darum, welche Fenster eingebaut werden, ist nicht nur wichtig, energieeffiziente Lösungen zu finden, sondern auch den Lärmschutz für Kinder zu beachten. Wir brauchen ein vitaminreiches Mittagessen für unsere Kinder in Mensen und Cafeterien in einer akustisch angenehmen Umgebung.
Das optimale Hörspektrum gesunder Kinder soll möglichst lange erhalten bleiben.
Damit Lärmschutz aber auch eine gute Akustik in Schulen kein Zufall bleibt, ist der Rat von Expert/-innen gefragt.
Elternvertreter/-innen haben die Möglichkeit das Thema auf der Schulkonferenz ansprechen.

Mehr Phasen der Stille zuhause

Eltern können zuhause ihrerseits ebenfalls über Möglichkeiten nachdenken, beispielweise das Wohnzimmer abends oder am Wochenende durch ruhige Hörerlebnisse in entspannter Atmosphäre gelegentlich zu einer Art Ruheraum umzufunktionieren.
Kinder haben oft selbst gute Ideen, wie man aus einem Raum einen „Ruheraum“ machen kann. Je nach Alter werden die Ideen etwas anders ausfallen. Gemütlichkeit, gemeinsam auf Phantasiereisen gehen und/oder meditative Musik hören, sind fast immer Teil eines solchen Ruheerlebnisses.
Kinder können erfahren wie viel Kraft und Wohlbefinden für sie daraus entstehen kann. Die meisten von uns sind für stille Phasen als Kontrastprogramm zum lauten Alltag sehr aufgeschlossen.
Stille erleben sollte nie eine Strafaktion sein. Leider war das in der Vergangenheit oft so. Heute werden Kinder nur in Ausnahmefällen, vorübergehend isoliert und in die stille Abgeschiedenheit „verbannt“, wenn es Probleme gibt.
Eltern und Kinder erleben oft abends beim Vorlesen vorm Schlafen eine „Phase der Ruhe und Stille“. Diese Zeit kann eine innige Verbindung zwischen Kinder und Eltern schaffen. Meistens entspannen sich sowohl Kinder als auch Eltern dabei.

Kommentar: „Sitz still.“ war gestern

In der Ruhe liegt die Kraft. Ruhe und Stille sind nicht immer identisch. Die Stille kann aber helfen, zur Ruhe zu kommen, wieder zu sich zu finden.
Auf Kommando Stillsitzen und/oder artig sein, gehörte für Schulkinder in der Vergangenheit zu ihrem Alltag. Die verordnete Stille war bedrückend, mit Starrheit verbunden und wenig kindgerecht. Manchmal ist Stille auch heute noch bedrückend. Sie kann für Sprachlosigkeit stehen, wenn es besser wäre über ein Problem zu reden.
Aber, in unserer technisierten Welt müssen wir uns sicher vor zunehmendem Lärm schützen. Vor allem über Kopfhörer kommt leicht zu viel Lärm an empfindliche Kinderohren.
Heute wird es für Kinder darüber hinaus zunehmend darum gehen mit mehr Stille, zu mehr Ruhe und innerer Ausgeglichenheit zu gelangen. Die meisten von uns müssen lernen bewusst wahrzunehmen, wie und wann wir „zugedröhnt“ werden. Es ist eine tägliche Herausforderung, sich vor Lärmbelästigung zu schützen.
Auch den Lärm, den wir selbst verursachen, können wir der Gemeinschaft zuliebe reduzieren. Dem kindlichen Drang nach Bewegung tut ein deutlich reduzierter Lärmpegel keinen Abbruch. Zum Glück können wir uns auch still und leise bewegen, wenn wir das wollen.

Buchtipps:

Bücken-Schaal M. Meditationen und Stilleübungen für Kinder. In Kindergarten, Grundschule und Kinderkirche (Kinderspiritualität) Don Bosco Medien 2013

Sauer, I. et al. Übungen der Stille und der Konzentration: Wege zur Entspannung durch Montessori, Mit Audio-CD (1. Bis 4. Klasse) Broschüre Auer Verlag in der AAP Lehrerfachverlage 2015

Linktipp:

Internetpräsenz für Alternative Pädagogik und Privatschulen

 

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Über den Autor/die Autorin

Hildegard Dierks arbeitet seit vielen Jahren als Online-Autorin und Online-Redakteurin für verschiedene Zielgruppen, z.B. Eltern. Zu ihren Themenschwerpunkten zählen alle Themen rund um Grundschule, Fremdsprachenlernen, Musikerziehung, computergestütztes Lernen aber auch schulpolitische Themen.

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