Warum Helikopter-Eltern ihren Kindern mehr schaden als nützen

Entwicklung und Erziehung
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von Christine Kammerer
Viele Eltern glauben, ihren Kindern damit einen Gefallen zu tun, dass sie ihnen alle Gefahren aus dem Weg räumen. Das zeigt sich beispielsweise an der großen Anzahl der Schüler, die frühmorgens mit dem Auto zur Schule gebracht werden. Doch Psychologen und Pädagogen warnen zunehmend davor, den eigenen Nachwuchs nach allen Regeln der Kunst zu behüten und zu verwöhnen.
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Viele Eltern glauben, ihren Kindern damit einen Gefallen zu tun, dass sie ihnen alle Gefahren aus dem Weg räumen. Das zeigt sich beispielsweise an der großen Anzahl der Schüler, die frühmorgens mit dem Auto zur Schule gebracht werden. Doch Psychologen und Pädagogen warnen zunehmend davor, den eigenen Nachwuchs nach allen Regeln der Kunst zu behüten und zu verwöhnen. Überfürsorgliche Eltern, die ihre eigenen Unzulänglichkeiten durch allzu großes Engagement in der Erziehung kompensieren wollen, ziehen systematisch Kinder mit Defiziten heran. Dabei wollen solche Eltern nur das Beste für ihre Kinder: Sie wünschen sich erfolgreiche und glückliche Kinder. Mit ihren Methoden erreichen sie jedoch genau das Gegenteil, nämlich ängstliche, verunsicherte und unselbständige Teenager und junge Erwachsene.

Helikopter-Eltern: übervorsichtig, überengagiert, überbehütend

Der Begriff „Helikopter-Eltern“ wurde 1990 von den amerikanischen Psychiatern Foster W. Cline und Jim Fay geprägt. Etwas drastischer ist die englischsprachige Bezeichnung „paranoid parents“, die es aber dafür auch an Deutlichkeit nicht missen lässt. Darunter wird gemeinhin ein Elterntyp subsumiert, der überall potenzielle Gefahren wittert, gleichsam paranoid um das Wohlergehen der eigenen Sprösslinge besorgt ist und sich überfürsorglich verhält. Helikopter-Eltern kreisen sprichwörtlich wie ein Hubschrauber ständig um ihre Kinder, schon um diese möglichst lückenlos zu überwachen. Der Wunsch dieser Eltern ist es, die Heranwachsenden nach Möglichkeit vor allen Risiken des Lebens zu behüten. Sie neigen daher auch zur übermäßigen Einmischung in deren persönlichste Angelegenheiten, zum Beispiel in Bezug auf die Freizeitaktivitäten und den Freundeskreis. Diese Eltern schwanken dabei häufig auch zwischen überehrgeiziger Frühförderung und nachgiebiger Verwöhnung.

Wenn Kinder zu Trophäen werden

Überbehütende Eltern wollen ihrem Nachwuchs alles bieten und zugleich sämtliche Hindernisse und Konflikte ersparen. Und darin liegt genau das Problem: Diese Kinder können nicht lernen, mit Konflikten umzugehen, Herausforderungen anzugehen, Widerstände eigenständig zu überwinden und Probleme zu lösen. Sie entwickeln keine Frustrationstoleranz, es fehlt ihnen an emotionaler Stabilität, Widerstandsfähigkeit und Selbstständigkeit. Die Eltern wiederum kompensieren mit ihrem Engagement nur ihre eigene Defizite: Ihnen mangelt es an Orientierung und Anerkennung, so die Auffassung von Psychiatern und Therapeuten. Damit sie sich selbst als kompetent erleben können, sind sie über alle Maßen darum bemüht, (scheinbar) glückliche und erfolgreiche Kinder heranzuziehen. Diese Kinder präsentieren sie dem Umfeld wie Trophäen der eigenen Kompetenz. Sie werden daher im englischen auch als „Trophy Kids“ bezeichnet. Die Überbehütung ist also auf narzisstische Bedürfnisse der Eltern zurückzuführen und sie führt wiederum zu Narzissmus bei den Kindern.

Wie viel Aufsicht brauchen Kinder? Beispiel Straßenverkehr

In den 70er Jahren gingen 90 Prozent der Schulkinder zu Fuß. Heute ist es nur noch jedes zweite oder dritte. Es ist zwar tatsächlich so, dass Kinder im Straßenverkehr besonders gefährdet sind. Aber faktisch passiert nur etwa jeder fünfte Unfall auf dem Schulweg und die langfristige Entwicklung der Kinderunfälle ist sogar rückläufig. Dennoch muss man ganz klar festhalten, dass den Kindern nicht damit geholfen ist, wenn ihre Eltern sie mit dem Auto quasi direkt vor der Schultür absetzen. Es ist sogar nach Untersuchungen des ADAC so, dass diese Eltern häufig durch verbotswidriges Halten, etwa in Feuerwehrzufahrten, oder riskante Wendemanöver andere Verkehrsteilnehmer wie zum Beispiel die Schulbusse behindern und genau das tun, was sie eigentlich vermeiden wollten: sie gefährden die Schüler. Ihre eigenen Kinder genauso wie die anderer Eltern. Dabei wäre es nicht nur im Sinne der Bewegungsförderung für viele Kinder von Vorteil, wenn sie den Weg zur Schule dort, wo das möglich ist, ganz oder wenigstens teilweise zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurück legten.

Kinder, die gefahren werden haben nicht die Möglichkeit, ihre Umwelt auszukundschaften und mit anderen zu interagieren. Der Schulweg dient der Förderung des sozialen Miteinanders. Er fördert die Integration im Schulverband und beugt so der Isolation einzelner Schüler vor. Und es lässt die Kinder an der täglichen Herausforderung wachsen und fördert ihre Selbständigkeit und ihr Verantwortungsgefühl für sich selbst, aber auch für andere. Außerdem lernen die Heranwachsenden nur so, Risiken im Straßenverkehr zu erkennen und sich sicher in ihrer Umgebung zu bewegen.

Fazit: Weniger Behütung, mehr Hierarchie, mehr Eigenständigkeit

Fachleute sind sich heute weitgehend einig darüber, dass Überbehütung für Heranwachsende genauso schädlich ist wie Vernachlässigung, denn Kinder, die systematisch überbehütet werden, zeigen häufig ganz ähnliche Verhaltensauffälligkeiten wie vernachlässigte Kinder. Es gibt sogar Therapeuten, die glauben, nachweisen zu können, dass Überbehütung sogar schlimmere Folgen hat als Verwahrlosung, Ignoranz und Desinteresse der Eltern. Zwar benötigen Kinder eine gewisse Stabilität. Möglichst geordnete Rahmenbedingungen sind ein wichtiges Grundgerüst einer erfolgreichen Erziehung, damit Kinder die äußere Ordnungen verinnerlichen können. Nur mit einer klaren inneren Struktur ausgestattet, verfügen sie über genug Sicherheit, damit sie sich in der sie umgebenden Welt zurechtfinden lernen.

Ebenso sehr wie Struktur brauchen sie jedoch auch ein hierarchisch übergeordnetes Gegenüber, an dem sie sich reiben, in dem sie sich erkennen und „spiegeln“ können, das aber auch klare Regeln vorgibt und bei Zuwiderhandlungen nachvollziehbare Konsequenzen folgen lässt. Werden Kinder zu sehr verwöhnt, dann werden ihnen damit auch wichtige Entwicklungsschritte hin zur Selbständigkeit genommen. Kinder brauchen also auch eine klare Hierarchie, sie benötigen Regeln und Normen. Und sie profitieren sehr viel mehr von einem gelassen-liebevollen Kontakt, als von erdrückender und alle eigene Aktivität im Keim erstickender Überfürsorglichkeit.

Links

Wo die Helikopter kreisen

Zu viel des Guten

Warum Eltern ihre Kinder nicht zur Schule fahren sollten

ADAC: Das „Elterntaxi” an Grundschulen

Wie Überbehütung den Kindern schadet

Josef Kraus: Helikopter-Eltern. Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung. Rowohlt Verlag, Reinbek 2013

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Über den Autor/die Autorin
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Christine Kammerer, Politologin M. A., Heilpraktikerin (Psychotherapie), freie Journalistin und Trainerin. Berufliche Stationen: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Bundeszentrale für politische Bildung, Deutscher Kinderschutzbund.

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