Künstliche Intelligenz im Kinderzimmer – berechtigte Sorgen

Wissen und Bildung
© M.Dörr & M.Frommherz - Fotolia.com
von Christine Kammerer
Künstliche Intelligenz (KI) macht vieles möglich. Neben sinnvollen Anwendungen für diverse Branchen und Berufe, beispielsweise für Lehrer und Schulen, sind inzwischen auch zahlreiche kleine Werkzeuge für Privatpersonen auf dem Markt. Spionage-Software zum Beispiel. Nach dem Babyphon entdecken nun viele Eltern die smarten Helferlein als nützliche Instrumente zur totalen Überwachung ihrer Sprösslinge von der Wiege bis weit ins Teenager-Alter hinein. Doch KI kann noch viel mehr: Es gibt sogar Apps, die den Eltern Wort für Wort erklären, wie sie ihre Kinder erziehen sollen. Und natürlich benötigen alle diese Anwendungen „Futter“, um zu lernen und ihre Dienstleistungen stetig zu optimieren: Sie wollen mit Daten gespeist werden. Nicht zuletzt angesichts der aktuellen Skandale im Zusammenhang mit skrupellosen Datensammlern, aber auch IT-Unternehmen, die allzu leicht Zugang zu diesen Daten gewähren, müssen folgende Fragen pädagogisch beleuchtet werden: Welche Sorgen sind im Hinblick auf KI berechtigt und wie sollen Eltern, Erzieher und Pädagogen künftig mit dem technologischen Fortschritt umgehen?
Lesedauer:
4 min
Künstliche Intelligenz (KI) macht vieles möglich. Neben sinnvollen Anwendungen für diverse Branchen und Berufe, beispielsweise für Lehrer und Schulen, sind inzwischen auch zahlreiche kleine Werkzeuge für Privatpersonen auf dem Markt. Spionage-Software zum Beispiel. Nach dem Babyphon entdecken nun viele Eltern die smarten Helferlein als nützliche Instrumente zur totalen Überwachung ihrer Sprösslinge von der Wiege bis weit ins Teenager-Alter hinein. Doch KI kann noch viel mehr: Es gibt sogar Apps, die den Eltern Wort für Wort erklären, wie sie ihre Kinder erziehen sollen. Und natürlich benötigen alle diese Anwendungen „Futter“, um zu lernen und ihre Dienstleistungen stetig zu optimieren: Sie wollen mit Daten gespeist werden. Nicht zuletzt angesichts der aktuellen Skandale im Zusammenhang mit skrupellosen Datensammlern, aber auch IT-Unternehmen, die allzu leicht Zugang zu diesen Daten gewähren, müssen folgende Fragen pädagogisch beleuchtet werden: Welche Sorgen sind im Hinblick auf KI berechtigt und wie sollen Eltern, Erzieher und Pädagogen künftig mit dem technologischen Fortschritt umgehen?

Süß, aber auch erschreckend: Kuri und Smart Barbie

„Kuri“ geistert wie ein kleiner Kobold durchs Zimmer. Er schaltet sich immer dann zu, „wenn er einen interessanten Moment im Kinderzimmer zu spüren glaubt“. Der kleine Roboter nimmt Videos auf, „damit auch ja kein wichtiger Moment der Familiengeschichte unaufgezeichnet bleibt“. Man kann sich Kuri ungefähr vorstellen wie einen rollenden Amazon-Echo-Lautsprecher. Er navigiert selbständig durch die Wohnung, kann Fragen beantworten, Musik abspielen, seine Umgebung überwachen und sogar bestimmte Personen und die Haustiere unterscheiden.

Ein unsichtbarer Spion im Kinderzimmer, der Heranwachsende ständig überwacht? Das ist für viele Eltern eine durchaus beruhigende Vorstellung. Für andere und vor allem für Pädagogen und Psychologen ist es dagegen eine erschreckende Horrorvision. Eine Vision, die jetzt schon greifbar real ist. In Form von vernetztem Spielzeug wie „Smart Barbie“ zum Beispiel. ToyTalk und Mattel, die Unternehmen also, die an der Entwicklung der schlauen Puppe arbeiten, wollen die Daten, die dabei gesammelt werden, aber gar nicht für Marketingzwecke nutzen. Das versprechen sie zumindest. Hello Barbie ist viel perfider: Das Spielzeug kann nämlich „Aufnahmen speichern, verarbeiten, konvertieren, transkribieren und überprüfen“. Es merkt sich die Vorlieben des Kindes und ob es zum Beispiel Geschwister oder Haustiere hat. Alle Gespräche, die im Kinderzimmer aufgezeichnet wurden, werden anschließend in die Cloud hochgeladen. Dort können sie dann von den besorgten Eltern ungestört abgehört werden.

Dieser Trend wird auch als „Big parenting“ bezeichnet: Live-Bilder aus dem Kinderzimmer werden auf den Monitor im Büro gestreamt. GeoTags auf Smartphones verraten jederzeit den Aufenthaltsort.

Muse - ein Algorithmus als Erziehungshelferin?

Muse ist eine Art virtuelle Supernanny. Sie stellt den Eltern täglich neue Aufgaben, kennt eine große Auswahl an Spielen und verfügt über einen reichen Schatz an Erziehungratschlägen unterschiedlichster Ansätze. Daraus wählt sie dann ihrer eigenen Logik folgend Fragen an die Eltern aus wie „Glaubst du an bedingungslose Liebe?“ oder „Hilft Kind X gerne im Haushalt?“ Durch die Antworten erhält das Programm immer mehr Informationen über seinen Nutzer und kann sich so selbst weiter optimieren. Die Empfehlungen werden individueller, sie passen also immer besser zu Eltern und Kind.

Neurowissenschaftlerin Vivienne Ming, die Muse entwickelt und programmiert hat, sagt: „Wir können buchstäblich vorhersagen, wie lange ein Kind leben wird, wie glücklich es sein wird, wie viel es verdienen wird.“ Ming hat eine Mission. Sie will den Charakter von Kindern auf der ganzen Welt formen, um sie in glücklichere und komplettere Menschen zu verwandeln. Sie ist besessen von der Idee, dass man mit Hilfe von Algorithmen das wahre Potenzial eines Menschen berechnen und optimieren kann. Das ist auch die Idee von vernetztem und intelligentem Lernspielzeug: Je mehr das Kind damit interagiert, desto mehr lernt es. Das ist zumindest das, was smarte Marketing-Spezialisten den Eltern glauben machen wollen.

Fazit: Wir wissen nicht, was wir tun

Welche Auswirkungen wird KI auf die kindliche Entwicklung haben? Werden sie damit tatsächlich mehr und besser lernen? Die korrekte Antwort muss lauten: Wir wissen es nicht. Wir wissen nur, dass Kinder sich gar nicht und selbst Jugendliche sich nur bedingt darüber bewusst werden, wenn sie kontrolliert, beobachtet oder sogar manipuliert werden. Und wir wissen aus verschiedenen pädagogischen Konzepten, dass Heranwachsende aber immer auch ihre Intimsphäre haben sollten. Das bedeutet: Sie sollte sich einfach auch einmal selbst überlassen bleiben und sie sollten ungestört spielen dürfen. Ohne Angst vor Eindringlingen. Und was sind Spielzeuge, die Gespräche von Kindern aufnehmen und analysieren, anderes als Eindringlinge?

Wir haben auch keine Informationen darüber, ob KI-Spielzeuge sich förderlich auf die Phantasie von Kindern und ihre Entwicklung im Allgemeinen auswirken. Es ist ebenso gut möglich, dass sie diese hemmen und darüber hinaus gehend sogar negative Verhaltensmuster auslösen. Das einzige, was wir mit Sicherheit sagen können ist, dass das, was sich heute „smart“ nennt, bei weitem nicht so intelligent ist wie das hochtrabende Attribut es vermuten ließe: „Ich würde sie Eltern nicht empfehlen”, sagt jedenfalls Graham Schafer, Professor für kognitive Entwicklung von der Universität Reading, über solche Spielzeuge und: „Im Moment gehören sie zur Welt der Dinge, die Unternehmen an Eltern zu vermarkten versuchen und sind im Wesentlichen überflüssig oder Krimskrams.“

Links

IM Barbie

Kuri's Blog

Das digitale Kind: Wohlerzogen dank Künstlicher Intelligenz?

Your web presence just picked your next job

Aristotle: Kinderzimmer-K.I. soll euch bei der Erziehung helfen

Vernetzte Spielzeuge: Künstliche Intelligenz in Kinderzimmern

How smart are connected toys?
Beitrag teilen:
Themen:
Künstliche Intelligenz
Überwachung
Spionage
Datenschutz
Eltern
Kinder
Erziehung
Spielzeug
Kontrolle
Entwicklung
Life-Bilder
Monitor
Über den Autor/die Autorin
Foto Christine Kammerer

Christine Kammerer, Politologin M. A., Heilpraktikerin (Psychotherapie), freie Journalistin und Trainerin. Berufliche Stationen: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Bundeszentrale für politische Bildung, Deutscher Kinderschutzbund.

Weitere Beiträge lesen