Wie viel Digitalisierung verträgt die Schule?

Wissen und Bildung
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von Christine Kammerer
Eine große Mehrheit der Deutschen ist sich sicher: In Zukunft finden Menschen nur noch dann einen guten Arbeitsplatz, wenn sie über ein grundlegendes Verständnis digitaler Technologien verfügen. Viele von ihnen glauben gleichzeitig, dass die meisten Menschen in Deutschland noch nicht ausreichend Digitalkompetenz besitzen. Diese zu vermitteln sei Aufgabe der Schulen, sagen 84 Prozent von 1000 Befragten im Rahmen einer Studie übereinstimmend.
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Eine große Mehrheit der Deutschen ist sich sicher: In Zukunft finden Menschen nur noch dann einen guten Arbeitsplatz, wenn sie über ein grundlegendes Verständnis digitaler Technologien verfügen. Viele von ihnen glauben gleichzeitig, dass die meisten Menschen in Deutschland noch nicht ausreichend Digitalkompetenz besitzen. Diese zu vermitteln sei Aufgabe der Schulen, sagen 84 Prozent von 1000 Befragten im Rahmen einer Studie übereinstimmend. Die meisten von ihnen sind selbst Eltern oder Schüler. Auch Bundesregierung und Oppositions-Parteien sind sich darüber weitgehend einig. Das Bundesbildungsministerin stellte schon 2016 den so genannten „Digitalpakt“ in Aussicht. Sie will von 2018 bis 2022 fünf Milliarden Euro für die digitale Ausstattung der Schulen investieren. Das Paket stieß auf große Zustimmung, aber auch auf beinahe ebenso viel Kritik. In den Haushaltsaufstellungen ist das Projekt zwar noch nicht berücksichtigt und niemand weiß, ob und wie es eine neue Regierung umsetzen wird. Fest steht derzeit nur: An deutschen Schulen wird sich in Zukunft etwas ändern. Aber was? Und wie viel? Die Digitalisierung scheidet heute schon die Geister: während die einen am liebsten Bildung nur noch per Computer vermitteln würden halten die anderen den digitalen Wahn für vermessen.

Digitalpakt mit vielen Fragezeichen

Im Augenblick liest sich das Konzept für die digitale Zukunft an deutschen Schulen etwa so: „Engagiertes Personal, schnelleres Internet, neue Geräte...“ Sehr viel konkreter ist das Projekt noch nicht gediehen. Damit befindet sich die Diskussion genau genommen auf dem gleichen Stand wie vor 10 Jahren auch schon. Bestenfalls eine Formel für eine Finanzierung steht andeutungsweise im Raum: Investieren Schulen in Hardware und in IT-Dienstleistungen, so dürfen sie mit bis zu 35 Prozent Zuschüssen aus Mitteln des Bundes bei den Kosten rechnen. Für den Rest, also Fortbildungen für Lehrer etc., müssen sie jedoch selbst aufkommen. Das wiederum würde bedeuten, dass ganz erhebliche Mittel aus dem Schuletat praktisch ausschließlich für die Digitalisierung gebunden wären. Es herrscht also nach wie vor Konzeptlosigkeit in Sachen digitale Zukunft. Und daher wird wohl noch eine ganze Weile die gängige Praxis des Gießkannenprinzip vorherrschen. Das bedeutet konkret: Wenn Etatgelder verfügbar sind, schaffen Lehrer, die sich für digital kompetent halten, beliebige Geräte an. Das können je nachdem, was gerade angesagt ist, Whiteboards, iPads oder ähnliches sein. Geräte jedenfalls, deren Anschaffung letztlich nicht lohnt, weil sie nicht entsprechend genutzt werden.

Einfach nur technologisches Verständnis vermitteln!

Schnelleres Internet und neue Geräte fördern nicht zwingend ein grundlegendes Verständnis für technologische Zusammenhänge oder auch nur das Interesse für das Thema an sich. Man muss im Unterricht nicht das allerneueste Equipment einsetzen, um Grundkenntnisse in Informatik zu vermitteln. Man benötigt keineswegs eine superschnelle Leitung, um den Schülern zu erklären, wie das Internet funktioniert. Das alles kann man – übrigens auch nach Meinung von Experten - genauso gut mit PCs erreichen, die nicht mehr ganz auf dem neuesten Stand sind. Manchmal lohnt hier auch der Blick ins Ausland: In Großbritannien, Finnland und einigen Ländern Osteuropas wird Technik von Anfang an in den Unterricht integriert. Ganz ohne teure High-End-Geräte. Dort dürfen Kinder im Rahmen von Projekten kleine Roboter selbst zusammen bauen. Dafür benötigen sie lediglich ein paar Platinen, Kabel und Lötgeräte. Keine Datenautobahn ins Klassenzimmer und auch keine iPads der nächsten Generation.

Technik im interdisziplinären Diskurs

Man sollte sich bei der Gelegenheit einfach auch einmal die Tatsache vor Augen halten, dass es nach wie vor keinen wissenschaftlichen Beleg dafür gibt, dass digitales Lernen überhaupt irgendwelche Vorteile mit sich bringt. Wichtig ist ein ganz grundlegendes Verständnis für die Technik und für verschiedene Technologien, die unseren Alltag bestimmen. Und ganz wesentlich ist auch die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit diesen Technologien, die ebenfalls schon frühzeitig an den Schulen beginnen sollte. Und es auch tut. Schon seit Jahrzehnten. Neue Technologien werfen immer auch ethische und politische Fragen auf. Die Frage nach dem Datenschutz zum Beispiel. Oder Fragen wie: Was darf Künstliche Intelligenz? Wollen wir unser Leben den einfach nur den Algorithmen überlassen? Welche Regeln benötigt eine digitale Gesellschaft in Zukunft?

Technik verstehen, Technologien als Werkzeuge beherrschen lernen

Natürlich hat die Digitalisierung im Unterricht auch ganz konkrete Vorteile: Werden Tests online durchgeführt, können Lehrer zusätzlich verschiedene Erkenntnisse aus der Analyse der Ergebnisse gewinnen. Zum Beispiel die, was bzw. wie viel eine Klasse in ihrer Gesamtheit von einem bestimmten Fachgebiet verstanden hat. Sie können also künftig bestehende Defizite anhand dieser Resultate besser aufarbeiten. Bildung muss dem Menschen aber neben digitaler Kompetenz auch gemäß der Publikation der Vodafone Stiftung „Algorithmen und Aristoteles“ noch „stärker das vermitteln, was ihm kein Computer abnehmen kann – beispielsweise geistige Offenheit, Orientierungswissen, kritisches Urteilsvermögen, Selbstdisziplin, Kreativität und Empathie.“ Am Bildungsauftrag selbst ändert sich also letztlich nichts. Die Digitalisierung der Schulen ist kein Selbstzweck, der die Bildung in Zukunft grundlegend revolutioniert. Technik ist letztlich nur ein weiterer Inhalt, der den Unterricht bereichert. Neue Technologien sind nur Werkzeuge, mit den gearbeitet werden muss, damit man den Umgang mit ihnen erlernt.

Fazit: zielgerichtete Digitalisierung – Mittel sinnvoll einsetzen

Wenn also Digitalisierung, dann gezielt. Der Digitalpakt kann nicht für sämtliche Schularten in gleicher Weise gelten. So kann zum Beispiel in den Grundschulen kann die Digitalisierung nicht vor der Alphabetisierung kommen. Hier muss viel stärker nach den Bedürfnissen, Prioritäten und Aufgaben der jeweiligen Schulen differenziert werden. Es macht Sinn, sehr viel mehr Mittel für die Bildung zur Verfügung zu stellen. Aber über die Verwendung dieser Mittel – ob nun für die Digitalisierung oder eben für andere dringend anstehende und sinnvolle Aufgaben – das muss jede Schule letztlich selbst entscheiden dürfen.

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Über den Autor/die Autorin
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Christine Kammerer, Politologin M. A., Heilpraktikerin (Psychotherapie), freie Journalistin und Trainerin. Berufliche Stationen: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Bundeszentrale für politische Bildung, Deutscher Kinderschutzbund.

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