Verbale Entgleisungen - wann ist es Gewalt?
Verbale Entgleisungen - wann ist es Gewalt?
Die Gewalt an Schulen nimmt zu. Doch heute sind es nicht mehr so sehr die Schüler, die prügelnde Lehrer fürchten müssen. Es sind vielfach die Lehrer selbst, die bedroht und tätlich angegangen werden. Der Lehrerverband Bildung und Erziehung (VBE) stellte im November 2016 in Düsseldorf eine repräsentative Forsa-Umfrage vor, in deren Rahmen bundesweit fast 2.000 Lehrerinnen und Lehrer befragt wurden. Sie ergab, dass fast ein Viertel aller deutschen Lehrer schon einmal beschimpft, bedroht und gemobbt wurde.
Immerhin 23 Prozent gaben an, dass sie an ihrer Schule Opfer psychischer Gewalt durch Schüler, Eltern oder Kollegen geworden seien. Körperliche Gewalt hinterlässt meist sichtbare Spuren, psychische Gewalt dagegen ist oft schwer zu greifen – für die Betroffenen selbst, aber auch für die Umwelt. Dennoch können Worte verletzen, kränken, beleidigen und sogar vernichten. Sie können zerstörerisch sein wie Schläge.
Wann ist es nur eine Entgleisung und wann überschreitet eine Äußerung die Schwelle der Gewalt?
Formen der psychischen Gewalt
Ziel der Gewaltausübung ist immer der Machtgewinn: der Aggressor will die Kontrolle über sein Gegenüber erlangen. Er will dieses abwerten, um sich selbst aufzuwerten. Er bedient sich dabei ganz unterschiedlicher Methoden - verbale Gewalt ist eine davon. Für Betroffene und deren Umfeld ist sie oft so schwer zu erkennen, weil sie in scheinbar harmlosem Gewand daher kommen kann. Wutausbrüche, Geschrei, Beleidigungen, offene Abwertung und destruktive Kritik erkennen wir recht schnell als verbale Gewalt. Sie kann aber auch in Form von andauernder Respektlosigkeit, Unhöflichkeit, Herablassung oder Bevormundung auftreten.
Man muss bedauerlicherweise konstatieren, dass etliche Formen psychischer Gewalt heute regelrecht gesellschaftsfähig sind. In einer Gesellschaft, in der Erfolg und Durchsetzungsfähigkeit einen so hohen Stellenwert besitzen, gelten Menschen, die andere abwerten und bloßstellen oder die lavieren, lügen und betrügen, um sich einen Vorteil zu verschaffen, sogar oft als besonders gewitzt und schlau. Etliche einschlägige TV-Formate wie DSDS dienen hier als trauriges Vorbild.
Subtile Psycho-Spielchen
Zu konkreten Anklagen und Schuldzuweisungen, Beschimpfungen, Drohungen und Vorwürfen kommt es meist nur, wenn der Täter sich von Dritten unbeobachtet fühlt. Dann kann er unmittelbar ausrasten, herumbrüllen oder gar Befehle erteilen. Wenn er damit konfrontiert wird, dann verharmlost er das Geschehen, leugnet und spielt alles herunter nach dem Motto, es sei nicht so gemeint oder nur ein Scherz gewesen.
In der Tat kommen verletzende Äußerungen und Kränkungen oft als Scherz getarnt daher. Die Täter haben ganz andere und viel subtilere Möglichkeiten, ihre Macht auszuüben: sie entziehen sich, „vergessen“ getroffene Vereinbarungen, verweigern die Kommunikation oder widersprechen aus Prinzip. Sie verlieren ganz nebenbei böse Bemerkungen und sprechen dabei absichtlich so leise, dass der Betroffene sie kaum hören kann. Das Opfer selbst wird meist mit Plattitüden in Schach gehalten wie „Du hast keinen Humor“, „Du bist zu empfindlich“, „Du machst aus einer Mücke einen Elefanten“, „Stell dich nicht so an“, „Das bildest du dir bloß ein“ oder „Ich kann sagen, was ich will“.
Folgen verbaler Gewalt
Wer psychische Gewalt über einen längeren Zeitraum erlebt hat, empfindet sie meist schlimmer als körperliche Gewalt. Sie zerstört nach und nach das Selbstbewusstsein. Die Opfer fühlen sich wie abgeschnitten von ihren Gefühlen und haben mitunter das Gefühl, „verrückt“ zu werden. Die Täter verstärken dies weiter, indem sie das Geschehen immer wieder negieren und die Wahrnehmungen, Eindrücke und Gefühle des Opfers abwehren und entwerten. Betroffene verleugnen deswegen oft lange selbst, dass sie Opfer psychischer Gewalt wurden. Sie glauben meist, dass sie einfach zu empfindlich seien, entschuldigen den Täter oder geben sich gar selbst die Schuld.
Und sie schweigen. Das führt dazu, dass das Thema allzu häufig tabuisiert wird. Der VBE-Umfrage zufolge sehen mehr als 57 Prozent der Lehrer Gewalt gegen Lehrkräfte als "Tabuthema" an – nur in neun Prozent der berichteten körperlichen Angriffe wurde demnach Anzeige erstattet.
Fazit: Regeln, Sanktionen, Dokumentation
Ob zu Hause oder in der Schule – es müssen klare Grenzen gesteckt werden, welche Art von Verhalten als akzeptabel gilt und welche nicht. Im Idealfall gibt es Gesprächsregeln, an die sich alle zu halten haben. Wenn sich ein Familienmitglied oder ein Mitschüler dann regelwidrig verhält, sollte er umgehend darauf aufmerksam gemacht werden. Auf ein konkretes Fehlverhalten müssen unmittelbar spürbare Konsequenzen folgen.
Nach Möglichkeit sollte dabei klar unterschieden werden zwischen
- verbalen Entgleisungen wie zum Beispiel Provokationen und
- verbaler Gewalt.
Auf erstere reagiert man besser mit einer humorvollen Bemerkung, auf letztere mit einer gezielten Zurechtweisung oder einer angemessenen Sanktion. Sinnvoll erscheint auch die Forderung des VBE, gewalttätige Vorfälle aller Art müssten künftig "verpflichtend gemeldet und dokumentiert" werden.
Links
Schüler teilen immer öfter gegen Lehrer aus
http://www.zeit.de/gesellschaft/schule/2016-11/gewalt-gegen-lehrer-vbe-deutschland-umfrage
Gewalt in der Schule
http://www.tresselt.de/gewalt.htm
Narzisstische Gewalt
http://narzissimus.blogspot.de/2015/09/narzisstische-gewalt.html
Häusliche Gewalt
https://www.scheidungsrecht.org/haeusliche-gewalt/
Christine Kammerer, Politologin M. A., Heilpraktikerin (Psychotherapie), freie Journalistin und Trainerin. Berufliche Stationen: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Bundeszentrale für politische Bildung, Deutscher Kinderschutzbund.