Ausbildung oder Studium? – Eine schwierige Entscheidung

Ein Wegweiser mit drei Richtungen: Abitur, Ausbildung, Studium
Entwicklung und Erziehung
© Sir_Oliver - Fotolia.de
von Hildegard Dierks

Jeden Tag geht der 18-jährige Jens zur Gesamtschule. Er möchte in zwei Jahren Abitur machen. Seine Zensuren sind mittelmäßig. Soll er eine Ausbildung machen oder später studieren? Nur gelegentlich stellt er sich diese Frage. Jens will bei der Arbeitsagentur bald einen Test machen und eine Beratung in Anspruch nehmen. Entscheiden muss er sich danach aber selbst.

Lesedauer:
5 min

Pro Ausbildung

Eine berufliche Ausbildung bietet vielfältige Karriere- und Entwicklungschancen. Es gibt mehr als 300 Ausbildungsberufe.
Für einige Berufe ist eine Ausbildung erforderlich. Ist der ersehnte Traumberuf ein Ausbildungsberuf ist dieses das wichtigste Pro für eine Ausbildung. Eine berufliche Ausbildung bedeutet in den meisten Fällen eine betriebliche Ausbildung, eine sog. Duale Ausbildung. Die betriebliche Ausbildung in Deutschland genießt international hohes Ansehen. Eine in Deutschland erworbene berufliche Ausbildung schafft sehr gute Voraussetzungen Arbeit innerhalb und auch außerhalb von Deutschland, z.B. im EU-Ausland zu finden.
Während der Ausbildung verdient man abhängig vom Ausbildungsjahr Geld. Eine Ausbildung sichert also früher als ein Studium finanziell ab. Mit einer Ausbildung wird ein junger Mensch entsprechend früher von den Eltern und anderen Subventionen unabhängig.
Wer lieber praktisch und lebensnah als theoretisch arbeitet, ist eher ein Kandidat für einen Ausbildungsberuf. Bei diesen Berufen sieht man oft ganz genau, was man tut und bewirkt.
Für eine Ausbildung spricht darüber hinaus für einige, dass aktuell Auszubildende gesucht werden. Die Chancen einen Ausbildungsplatz in seinem Traumberuf zu bekommen, möglichst in der Region sind besser denn je. Insbesondere kleine und mittlere Betriebe suchen Auszubildende.
In vielen Ausbildungsbetrieben herrscht im Vergleich zum Hochschulbetrieb eine vergleichsweise persönliche Atmosphäre. Das schätzen einige sehr.
In Betriebspraktika in potenziellen Ausbildungsbetrieben kann man in den Arbeitsalltag hinein schnuppern, erste kleine Arbeiten erledigen und das Betriebsklima für sich in etwa einschätzen. Laut aktuellem DFB – Ausbildungsreport im Spätsommer 2016 sind circa 70% der Auszubildenden zufrieden mit ihrer Ausbildung. Das ist eine beeindruckende Zahl, wenngleich die Zufriedenheit in einigen Branchen deutlich geringer ist, z.B. bei Köchen, Malern oder Einzelhandelsverkäufern.
Wenn es in manchen Ausbildungsbetrieben nicht problemlos abläuft, sind Auszubildende nicht allein auf sich gestellt. Muss ein neuer Ausbildungsbetrieb gefunden werden, helfen die Arbeitsagenturen oder Kammern einen anderen Betrieb zu finden.

Pro Studium

„Ich möchte promovieren und Forscher werden“, denkt die 19-jährige. „Ich will Karriere machen, überdurchschnittlich verdienen und kann mir vorstellen in einer Führungsposition, z.B. auch in einer größeren Firma zu arbeiten. Dort möchte ich Verantwortung für betriebliche Probleme und Personal übernehmen“, erklärte ein 17-jähriger bei der Berufsberatung. Er kann sich nicht gut vorstellen auf Anweisung zu arbeiten und er will „Neuland“ bearbeiten.
Wer das für sich ebenfalls sagen kann, wird sich eher für ein Studium entscheiden. Ein Hochschulstudium bedeutet oft eigenständiges, eher theoretisches Arbeiten auf der konzeptionellen Ebene. Erwartet werden Präsentationen und Vorträge vor Publikum. Man steht in der ersten Reihe.
Ein Fachhochschulstudium ist etwas praxisnäher ausgerichtet. Akademische Berufe wie Apotheker, Psychologe oder Arzt lassen sich nur mit einem Studium realisieren.
Für ein Studium spricht ebenfalls, wenn man gute Noten hat und gute Aussichten auf den Wunschstudienplatz am Wunschstudienort bestehen. Wichtig ist es, die Frage nach der Finanzierung abzuklären. Ein Studium ist eine lange Ausbildung, die finanziert werden muss, durch Eltern, Stipendien, Nebenjobs oder BAFÖG. Die Regelstudienzeit wird von den meisten überschritten.
Zukünftige Studierende müssen oder wollen sich oft räumlich verändern, sich überregional und international bewerben während und nach dem Studium. Fachhochschulen sind von ihren Profilen eher stärker regional ausgerichtet.

Familie – Der Einflussfaktor Nummer 1

Mehr sog. Arbeiterkinder als früher besuchen heute nach der Grundschule das Gymnasium. Darunter sind auch Kinder aus Familien, die keine akademische Tradition haben, z.B. die Tochter der Friseurin oder des KFZ-Mechanikers. Aber von diesen Kindern, die das Gymnasium oder die Gesamtschule mit der Allgemeinen Hochschulreife oder Fachhochschulreife abschließen, entscheiden sich nur wenige für ein Studium.
Laut der 20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks (DSW) nehmen von 100 Nicht-Akademiker-Kindern lediglich 23 ein Studium auf, obwohl doppelt so viele die Hochschulreife erreichen, von 100 Akademiker-Kindern nehmen dagegen 77 ein Studium auf.
Woran liegt das? Wir sind in unseren Entscheidungen nicht frei. Zensuren und fachliche Interessen entscheiden nur u.a. über unseren Schul-und Ausbildungsweg. In Nicht-Akademiker-Familien spielt sicheres, regelmäßiges frühzeitiges Geld verdienen eine wichtige Rolle. In diesen Familien gibt es kaum finanzielle Rücklagen. Kinder aus Familien ohne Hochschulerfahrungen sind an Universitäten darüber hinaus nicht vernetzt. Es fehlt ihnen an Vorbildern aus der akademischen Welt. Diese Schülerinnen und Schüler brauchen mehr psychische Energie, um sich möglichweise gegen den Willen der Eltern für ein Studium zu entscheiden. Sie brauchen Unterstützung von außerhalb der Familie ei Problemen mit der Finanzierung, der Organisation eines Auslandsaufenthaltes oder bei Schwierigkeiten mit den Studieninhalten.
Die Initiative ArbeiterKind greift diese Problematik auf. Sie hilft mit Informationen und Kontakten und unterstützt speziell die Schülerinnen und Schüler, die als erste aus einer Familie ein Studium an einer Universität oder Fachhochschule aufnehmen möchten. Die Unterstützung kann bereits an der Schule beginnen. Schülerinnen und Schüler aus Familien mit langer akademischer Tradition haben es ihrerseits oft schwerer mit einer beruflichen Ausbildung in ihrem sozialen Milieu anerkannt zu werden. In diesen Familien hat die berufliche Ausbildung oft kein gutes Ansehen.

Das liebe Geld

Nicht selten entscheiden vor allem die finanziellen Verhältnisse, ob jemand sich für eine Ausbildung oder ein Studium entscheidet. Es gibt Möglichkeiten der finanziellen Unterstützung für Ausbildung oder Studium, in Form von Stipendien, Kindergeld, Steuerfreibeträge für Kinder, die noch in der Ausbildung sind oder noch studieren, BAFÖG für Schüler und Studenten, finanzielle Unterstützung für Auszubildende durch BAB (Bundesausbildungsbeihilfe), eventuell Wohngeld bei Auszubildenden, die nicht zu Hause wohnen können. Die meisten Hilfen sind abhängig vom Einkommen der Eltern oder des Partners, aber nicht alle. Zugegeben, einige Formulare sind auszufüllen und man muss einige Belege einreichen. Finanziell gefördert werden vor allem die jeweils erste Ausbildung und staatlich anerkannte Ausbildungen. Bricht man eine erste Ausbildung/ein erstes Studium erst zum Ende hin ab, wird es schwieriger für den Neuanfang ähnliche finanzielle Hilfen zu bekommen wie für die erste Ausbildung. Dennoch gibt es weiterhin und zunehmend mehr Möglichkeiten, z.B. auch für Studienabbrecherinnen und – abbrecher. Mit dem Projekt "Jobstarter plus" fördert das Bundesbildungsministerium seit 2015 18 Projekte, die Studienabbrecher beim Übergang in eine berufliche Ausbildung begleiten.
Die Arbeitsagenturen und BAFÖG-Ämter beraten in jedem Fall.

Kommentar: Wir entscheiden nicht nur sachlich

Sich zu entscheiden ist schwer für einen jungen Menschen. Anders als früher gibt es heute zum Glück Möglichkeiten, eine berufliche Entscheidung zu korrigieren oder ein neues berufliches Ziel zu verfolgen. Wir dürfen und müssen ein Leben lang lernen. Nach der Entscheidung ist also immer vor der Entscheidung. Ohne Durchhaltevermögen und der Bereitschaft Probleme zu überwinden, wird man beruflich immer auf der Suche bleiben.
Wie wir entscheiden hängt nicht nur von sachlichen Kriterien ab. Im Gegenteil! Was macht der Freund, die Schwester oder was machen die Eltern beruflich? Sind Eltern Akademiker, entscheiden sich auch die Kinder oft für ein Studium. Es gibt Familien, in denen sich der Beruf des Lehrers, Anwalts oder Arztes einer großen Beliebtheit erfreut und ein Familientreffen zwischendurch einer Fachkonferenz ähnelt. Ebenso gibt es Familien mit starker Vorliebe für handwerkliche Berufe.
Mehr und mehr spielen aber auch andere weichere Kriterien eine Rolle. Zukünftige Studierende möchten oft nicht nur ein Studium aufnehmen, das zu ihnen passt, sondern der Studienort muss auch möglichst in einer angesagten Stadt sein, damit eine Work-Life-Balance nach ihrer Vorstellung möglich ist. Das gilt auch für junge Menschen, die eine berufliche Ausbildung machen möchten. Die Entscheidung für eine Ausbildung oder ein Studium ist also immer eingebettet in die Interessen eines gesamten Lebens.

Linktipps:

Informationsbroschüre des Bundesbildungsministeriums zu Ausbildungsberufen. Du und Deine Ausbildung – Praktisch unschlagbar:
http://www.praktisch-unschlagbar.de/

Initiative zur Unterstützung von Arbeiterkindern an Hochschulen:
www.arbeiterkind.de

Ein Portal für Studierende:
www.studienkompass.de

Beitrag teilen:
Themen:
Ausbildung
Studium
lernen
Kosten
Karriere
Ausbildungsbetrieb
Beruf
Abitur
Zensuren
praktisch
theoretisch
Über den Autor/die Autorin

Hildegard Dierks arbeitet seit vielen Jahren als Online-Autorin und Online-Redakteurin für verschiedene Zielgruppen, z.B. Eltern. Zu ihren Themenschwerpunkten zählen alle Themen rund um Grundschule, Fremdsprachenlernen, Musikerziehung, computergestütztes Lernen aber auch schulpolitische Themen.

Weitere Beiträge lesen