ADHS – nehmen Verhaltensauffälligkeiten an Schulen wirklich zu?

Foto einer Hand mit Stempel mit der Aufschrift ADHS
Entwicklung und Erziehung
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von Christine Kammerer

Wächst in Deutschland tatsächlich eine „Generation ADHS“ heran, wie die Barmer GEK zugespitzt formuliert, oder sehen nur viel zu viele Eltern und Lehrer in ADHS und der Verordnung von Ritalin eine einfache Lösung für ihre eigenen Probleme?

Lesedauer:
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 In den USA liegen mittlerweile Studien vor, die belegen, dass viele Kinder ohne echte Notwendigkeit wegen ADHS behandelt werden. Sie verhielten sich schlichtweg nicht so, wie es von ihnen erwartet wurde, legten aber mit ihrem Verhalten lediglich die Anzeichen einer ganz normalen und altersgemäßen Unreife an den Tag.

Daten und Fakten zu ADHS

ADHS gilt heute als häufigste psychiatrische Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen. Es handelt sich dabei um eine Entwicklungsstörung, deren Symptome bei den Betroffenen mehrere Lebensbereiche deutlich beeinträchtigen oder zu einem erkennbarem Leiden führen. Jungen sind deutlich häufiger betroffen als Mädchen.

Die Barmer GEK stellte in ihrem Arztreport 2013 fest, dass sich die Diagnosen bei Kindern und Jugendlichen bis 19 Jahre zwischen 2006 und 2011 um 42 Prozent erhöht haben. Unter ADHS leiden demnach mit einem Alter von zehn Jahren etwa zwölf Prozent der Jungen und 4,4 Prozent der Mädchen an einer „Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung“ (ADS bzw. ADHS). Die Diagnose wird meist im neunten Lebensjahr gestellt und häufig medikamentös behandelt: Fast sieben Prozent der elfjährigen Jungen und zwei Prozent der Mädchen nehmen Medikamente mit Methylphenidat, besser bekannt unter dem Handelsnamen „Ritalin“. Die Verordnungsraten von Methylphenidat, sind zwischen 2006 und 2011 deutlich gestiegen, die höchsten Verordnungsraten finden sich im Alter von elf Jahren. Seit 2010 gehen die Verordnungsraten jedoch erstmals wieder zurück.

Risikofaktoren für eine Diagnose

ADHS kann sowohl auf erbliche Anlagen als auch auf Ursachen im sozialen Umfeld zurückgeführt werden. Auch einige Schadstoffe wie PCB können das Risiko einer Erkrankung erhöhen. In einer Studie des Instituts für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitssystemforschung (ISEG) in Hannover ermittelten die Wissenschaftler nun erstmals auch einige elternabhängige Faktoren, die das Risiko für eine ADHS-Diagnose und die Verordnung von Ritalin bei Kindern beeinflussen. So sinkt das Risiko einer ADHS-Erkrankung mit zunehmendem Bildungsgrad der Eltern. Risiko-Faktoren sind dagegen die Erwartungshaltung der Eltern sowie Erziehungsprobleme. Das Risiko ist zudem um so höher, je jünger die Eltern sind – vermutlich aufgrund der Überforderung junger Mütter und Väter.

Viele Fehldiagnosen

Viele Kinder, die sehr aktiv und laut sind, nur ungern ruhig sitzen, sondern lieber herumtoben, sich nicht sofort fügen, sondern Widerstand leisten heute nicht selten mit der Diagnose ADHS und Ritalin ruhig gestellt. Dies entspricht den Ergebnissen jüngster Studien aus den USA, die ebenfalls zu dem Ergebnis kommen, dass vielen Kindern fälschlicherweise ADHS diagnostiziert wird. Eine Studie der Universität Michigan aus dem Jahr 2010 ergab, dass eine Vielzahl der Kinder, die die Diagnose ADHS erhalten hatten, einfach nur langsamer und in ihrer Entwicklung nicht soweit fortgeschritten waren wie die meisten ihrer Altersgenossen. Sie verhielten sich auffällig und aggressiver, doch dies seien häufig nur die Reaktionen auf das von ihnen empfundene Missverhältnis zwischen der eigenen Leistungsfähigkeit und dem, was ihnen abverlangt werde. Der Chefarzt der Helios-Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie in Berlin-Buch Rüdiger Stier sagt: „Bei bis zu einem Drittel der Fälle, in denen Kinder mit der Diagnose ADHS vom Kinderarzt zu uns kommen, halten die Diagnosen der Überprüfung nicht stand. Ein Problem besteht schon, aber es ist eben nicht ADHS.“ Es handele sich oft um Symptome, die aufgrund von Überforderungen aufträten, oder auch um Folgen erzieherischer Defizite.

Ob ein Kind tatsächlich an ADHS leidet kann nur ein Facharzt diagnostizieren, doch gerade da kommt es offenbar häufig zu Fehldiagnosen, unter anderem, weil die Ärzte zu wenig Zeit für ihre Patienten aufbringen könnten und es ihnen meist an „Tiefenkompetenz“ beim Krankheitsbild ADHS fehlt, so Stier.

Störungen werden aufmerksamer wahrgenommen

Bemerkenswert sind auch einige regionale Unterschiede: Während die ADHS-Diagnoserate im Jahr 2011 im Bundesdurchschnitt bei Jungen im Alter von zehn bis zwölf Jahren bei knapp 12 Prozent lag, gibt es in Unterfranken mit 18,8 Prozent eine auffällige Häufung an Diagnosen und Ritalin-Verordnungen. Das führen die Forscher auf eine „relativ gut ausgebauten Versorgung im Hinblick auf niedergelassene ärztliche Kinder- und Jugendpsychiater“ zurück. Die hohe Diagnoserate kann also auch darauf zurück zu führen sein, „dass Eltern, Lehrer und Ärzte sehr viel aufmerksamer geworden sind und deshalb heute Störungen wahrgenommen werden, die man früher schlicht übersehen hat", so Kai von Klitzing, Direktor der Leipziger Uniklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Fazit: Stigmatisierung vermeiden!

Bis vor kurzem war ein temperamentvolles Kind schlicht ein „Zappelphilipp“ und man vertraute darauf, dass sich das Verhalten mit der Zeit von selbst regulieren würde, was auch meistens der Fall war. Heute bekommt das gleiche Kind das Etikett „ADHS“ und das ist durchaus eine bedenkliche Entwicklung, denn es ist sicherlich problematisch, das Verhalten eines Kindes vorschnell zu pathologisieren und es so zu stigmatisieren, denn immerhin klassifiziert die Diagnose dieses Kind fortan als „psychisch krank“. Die Pädagogin und Familienberaterin Katharina Saalfrank meint dazu: „Das Besondere von Menschen wird so oft nicht gesehen beziehungsweise als störend empfunden, weil sie nicht der Norm entsprechen. Wir haben unseren Fokus auf das, was ‚normal‘ ist, stark eingeengt und sind auf Schablonenkinder und Kategorien fixiert.“

Links

ADHS/ADS

www.adhs-deutschland.de

Barmer GEK Arztreport 2013:

ADHS-Diagnosen und Ritalin-Verordnungen boomen

US-Studie untersucht ADHS-Kinder - Viele Fehldiagnosen befürchtet

www.n-tv.de

 

Jeder fünfte Junge ist verhaltensauffällig

www.welt.de

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Über den Autor/die Autorin
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Christine Kammerer, Politologin M. A., Heilpraktikerin (Psychotherapie), freie Journalistin und Trainerin. Berufliche Stationen: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Bundeszentrale für politische Bildung, Deutscher Kinderschutzbund.

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