Jugendkultur - Warum Abgrenzung wichtig ist
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Jugendkultur - Warum Abgrenzung wichtig ist
von Anna Bahr
Der Beginn der Pubertät wird von vielen Veränderungen begleitet. Äußerlich verlieren die Heranwachsenden ihre kindlichen Züge und innerlich beschert ihnen ihr Gefühlsleben ein Auf und Ab. Auch das Familienleben wird auf eine harte Probe gestellt.
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Der Beginn der Pubertät wird von vielen Veränderungen begleitet. Äußerlich
verlieren die Heranwachsenden ihre kindlichen Züge und innerlich beschert
ihnen ihr Gefühlsleben ein Auf und Ab. Auch das Familienleben wird auf eine harte Probe gestellt. Eltern erfahren oft nur noch Bruchstücke aus Schule
und Freizeit. Anweisungen und Ratschläge der Älteren werden ignoriert. Freunde
lösen die Eltern nun als Vorbilder ab. Nicht selten schließen sich die
Jugendlichen einer Gruppe von Gleichgesinnten an, in der eine bestimmte Musik
oder eine besondere Art sich zu kleiden den Konsens bestimmt.
Die Geschlechtsreife tritt ein und der Körper wächst noch einmal ein ganzes Stück nach oben. Nicht nur körperlich entwickeln sie sich zusehends, auch im kognitiven Bereich finden beachtliche Veränderungen statt. US-Psychiater Jay Giedd wies nach, welche fundamentalen Umbauarbeiten im Gehirn von Jugendlichen statt finden. Die graue Substanz beispielsweise, welche die Nervenzellen der Großhirnrinde bildet, wird in dieser Zeit in großer Menge vom Gehirn abgestoßen, um Platz für neue Verknüpfungen zu schaffen. Alle Zeichen stehen auf Veränderung. Kein Wunder das die Heranwachsenden nach Orientierung suchen.
Der Begriff der Jugendkultur hat sich erst in den letzten 150 Jahren heraus gebildet. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren es noch die "Wandervögel", die mit ihrer romantischen Naturflucht den industriell geprägten Erwachsenen etwas entgegen setzten wollten. Eine breitere Bekanntheit erreichte die 68er-Bewegung. Da gab es beispielsweise die Anhänger der Rolling Stones, die ihre Eltern mit dem Motto "Sex, Drugs & Rock´n`Roll" schockierten oder die Hippies, die mit ihrer friedlich-harmonischen Grundhaltung die Welt verbessern wollten.
In den letzten 30 Jahren wurde die Jugendkultur immer facettenreicher. Aus den verschiedenen Gruppierungen der Punks, Techno-Anhänger oder Grunger spalteten sich immer weitere Untergruppen ab. Gleichzeitig kommen - nicht zuletzt durch die weltweite Vernetzung des Menschen im Internet - immer neue Gruppierungen dazu. Neben den Skatern und Hip Hoppern, die vielen noch geläufig sein dürften, machen auch die Cosplayer optisch auf sich aufmerksam. Sie sind Fans japanischer Comics und animierter Geschichten und kleiden sich entsprechen grell und bunt.
Waren eben noch die Werte der Familie ausschlaggebend, orientieren die Heranwachsenden sich nun an Gleichaltrigen und experimentieren mit anderen Lebensformen. In der Gruppe stoßen sie auf junge Menschen, denen ähnliche Fragen und Probleme im Leben wichtig sind. Wer bin ich und wo stehe ich im Leben? Wie geht es weiter nach der Schule, welchen Beruf werde ich ergreifen und wo will ich hin?
Wer sich einer Jugendkultur anschließt, kann so auch mit seiner Identität experimentieren. Grell gefärbte Haare, düster geschminkte Augen: Welche Wirkung haben Äußerlichkeiten auf meine Umwelt? Wie fühle ich mich stärker?
Und: Jede Gruppe trägt durch Kleidung, Accessoires und Musik eine innere Haltung zur Schau. Die Codes der Hip Hopper - lässige Kleidung und lockerer Gang - signalisieren eine entspannte Haltung zum Leben, während die Emos stark auf ihr Seelenleben fokussiert sind und die Punks setzen sich kritisch mit gesellschaftlichen Umständen auseinander.
In der Gruppe lassen sich auch Probleme der Außenwelt vergessen. Stress mit den Eltern, Sorgen in der Schule - die Gruppe schafft einen neuen sozialen Kosmos, in der der Alltag weit weg scheint. Gleichzeitig erlangen sie Sicherheit und Anerkennung in der Gruppe. Noch fehlt der Mut zum individuellen Stil. Noch wird das Selbstbewusstsein von der Gruppenzugehörigkeit gestiftet. Aber Abgrenzung ist der erste Schritt in Richtung Selbstständigkeit.
Oftmals ist es schwer, die Kinder für den Stoff des jeweiligen Faches zu erreichen. Ein Gymnasium in Düsseldorf hat deshalb beschlossen, den Heranwachsenden mehr Verantwortung zuzutrauen. Immerhin puppen sie sich gerade zu jungen Erwachsenen.
Vielleicht würden die Schüler auch einen besseren Zugang zu einigen Themen finden, zum Beispiel im Deutschunterricht, wenn man sie aktueller präsentiert: Emilia Galotti beispielsweise befand sich auch im Konflikt zwischen den Ansprüchen ihrer Eltern und ihren eigenen Bedürfnissen. Geht es den Jugendliche nicht manchmal ähnlich?
Und noch etwas kann hilfreich sein: Wenn Lehrer die Probleme und Konflikte der Kinder ernst nehmen. Streit und Belehrungen kennen sie schon zu genüge von zu Hause. Verständnis und eine Beziehung, in der sie für voll genommen werden, kann stattdessen die Motivation im Unterricht fördern.
Eltern können es nicht verstehen, warum ihr Kind mit kaputten Hosen, stark gefärbten Haaren und grell geschminktem Gesicht herumläuft und die Musik so laut aufdreht.
Experte in Sachen Pubertät Ralf Dawirs rät Eltern gegenüber Spiegel-Online zu mehr Gelassenheit: "Die Pubertät hat ja den Zweck, dass der Jugendliche sich emotional von den Eltern entkoppelt." Das sei, so der Autor weiter, "eine biologische Notwendigkeit, sonst kann er nicht erwachsen werden". Die Abgrenzung zur Welt der Erwachsenen habe, so Dawirs, einen wichtigen Nutzen. In der früheren Menschheitsgeschichte sei die Zeit der Adoleszenz sogar überlebenswichtig gewesen.
"Vor eineinhalb Millionen Jahren sind die Eltern meist gestorben, wenn die Kinder in die Pubertät kamen". Und weiter: "Das war die eigentliche Zeit des Erwachsenseins." Die Entwicklung im Jugendalter und die Risikofreude der Jungen sei damals ein hohes Gut gewesen. Heute hingegen, "erleben die Jugendlichen diese Phase oft als Zeit der Verbote durch die Eltern, die mit Mitte 40 verständlicherweise noch nicht abtreten wollen".
Mit der Abnabelung vom Elternhaus gehen die Kinder also einen wichtigen Schritt in Richtung Eigenständigkeit. Dazu gehört aber eben auch, eine eigene Meinung zu haben und sich ein eigenes Bild von der Welt zu machen. Klar, dass es da auch zu Reibungen zwischen den Generationen kommt.
Auch wenn die Abgrenzung einen wichtigen Zweck erfüllt, ist diese Phase für Eltern oft schwer zu ertragen. Die Distanz ihrer Kinder weckt in vielen Eltern Trauer. Ihr Kind ist nicht mehr länger ein Kind und nicht mehr in vollem Umfang auf sie angewiesen. Das heißt aber nicht, dass Eltern nun überflüssig werden. Immer noch ist das zu Hause ein wichtiger Zufluchts- und Rückzugsort. Wer die Turbulenzen dieses Alters nicht zu persönlich nimmt, kann seinen Kindern helfen, ein starker Erwachsener zu werden, der sich seiner Wurzeln sicher sein kann.
Dabei steht hier nicht der Geschmack im Vordergrund, sondern die Frage, wie sich Jugendliche abnabeln sollen, wenn bereits alle Wege des Protests besetzt sind? Abgrenzung ist wichtig, findet auch Elisabeth Raffauf in ihrem Buch "Pubertät heute". Das sei aber nur möglich, "wenn Eltern nicht auf einer Stufe mit den Kindern stehen wollen, sondern ihre Meinung vertreten und es aushalten können, dass die Kinder sie zeitweilig ziemlich doof finden."
Da viele Einflüsse der Jugendkultur auch auf die Mode von der Stange übergeht, wird die Abgrenzung immer schwieriger. Welche Mittel zur Abgrenzung bleiben den Jugendlichen noch, wenn sich die Erwachsenen die gleichen Codes verwendet? Muss die Jugend deshalb immer extremer werden? Und warum haben so viele erwachsene Menschen ein Problem mit dem älter werden? Hier greifen viele Fragen ineinander. Fakt ist jedoch, dass Abgrenzung ein wichtiger Schritt auf dem Weg in die Selbstständigkeit ist.
Auch wenn die Jugendlichen nun bald erwachsene Menschen sind: Sie sollten immer wissen, dass ihre Eltern für sie da sind und sie im Zweifelsfall Hilfe von zu Hause erwarten können.
Wenn das Kind langsam aber sicher erwachsen wird, wird es auch für die Eltern Zeit, sich neu zu orientieren. Bald werden die Jugendlichen ausziehen, die Alltagsstruktur wird sich dadurch komplett umstellen und die Eltern haben wieder mehr Zeit für eigene Interessen. Denn mit dem Flügge werden der Kinder beginnt auch für sie eine neuer Abschnitt im Leben.
Zur Geschichte der Jugendkultur:
www.wissen.de
Webseite des "Archiv der Jugendkulturen"
www.jugendkulturen.de
Beitrag über die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Hirnentwicklung während der Pubertät:
www.spiegel.de
Buchtipps
Ralf Dawirs, Gunther Moll: Endlich in der Pubertät. Vom Sinn der wilden Jahre. Beltz. 2011.
Elisabeth Raffauf. Pubertät heute. Ohne Stress durch die wilden Jahre. Beltz. 2011.
Nicht Fleisch und nicht Fisch
Nicht mehr Kind, aber auch noch nicht Erwachsen: Im Alter zwischen 13 und 21 Jahren spricht man von Jugendlichen, wobei diese Zeitspanne in der Forschung unterschiedlich gesetzt wird. Rechtlich gesehen gelten Heranwachsende ab dem vollendeten 14. Lebensjahr als jugendlich. Manche Kinder kommen eher in die Pubertät - Mädchen im Schnitt zwei Jahre früher als Jungs.Die Geschlechtsreife tritt ein und der Körper wächst noch einmal ein ganzes Stück nach oben. Nicht nur körperlich entwickeln sie sich zusehends, auch im kognitiven Bereich finden beachtliche Veränderungen statt. US-Psychiater Jay Giedd wies nach, welche fundamentalen Umbauarbeiten im Gehirn von Jugendlichen statt finden. Die graue Substanz beispielsweise, welche die Nervenzellen der Großhirnrinde bildet, wird in dieser Zeit in großer Menge vom Gehirn abgestoßen, um Platz für neue Verknüpfungen zu schaffen. Alle Zeichen stehen auf Veränderung. Kein Wunder das die Heranwachsenden nach Orientierung suchen.
Jugendkultur - vielfältige Richtungen
Abgrenzung und Rebellion - auch das gehört zur Jugend. Ihre neue Andersartigkeit drücken viele Heranwachsende aus, indem sie sich einer Jugendkultur anschließen.Der Begriff der Jugendkultur hat sich erst in den letzten 150 Jahren heraus gebildet. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren es noch die "Wandervögel", die mit ihrer romantischen Naturflucht den industriell geprägten Erwachsenen etwas entgegen setzten wollten. Eine breitere Bekanntheit erreichte die 68er-Bewegung. Da gab es beispielsweise die Anhänger der Rolling Stones, die ihre Eltern mit dem Motto "Sex, Drugs & Rock´n`Roll" schockierten oder die Hippies, die mit ihrer friedlich-harmonischen Grundhaltung die Welt verbessern wollten.
In den letzten 30 Jahren wurde die Jugendkultur immer facettenreicher. Aus den verschiedenen Gruppierungen der Punks, Techno-Anhänger oder Grunger spalteten sich immer weitere Untergruppen ab. Gleichzeitig kommen - nicht zuletzt durch die weltweite Vernetzung des Menschen im Internet - immer neue Gruppierungen dazu. Neben den Skatern und Hip Hoppern, die vielen noch geläufig sein dürften, machen auch die Cosplayer optisch auf sich aufmerksam. Sie sind Fans japanischer Comics und animierter Geschichten und kleiden sich entsprechen grell und bunt.
Flucht in die Gruppe
Jugendkulturen bieten den Jugendlichen die Möglichkeit, sich abzugrenzen. Abzugrenzen von der Mutter, der Familie und ganz allgemein von der Erwachsenenwelt. Damit verabschieden sich die Jugendlichen auch von den Werten, Vorstellungen und oftmals von den Verboten der Erwachsenenwelt. Wer einer bestimmten Jugendkultur angehört, grenzt sich gleichzeitig von anderen Jugendkulturen ab. Eine Entscheidung für eine Richtung, ein erstes Spielen mit anderen Lebensformen als den altbekannten.Waren eben noch die Werte der Familie ausschlaggebend, orientieren die Heranwachsenden sich nun an Gleichaltrigen und experimentieren mit anderen Lebensformen. In der Gruppe stoßen sie auf junge Menschen, denen ähnliche Fragen und Probleme im Leben wichtig sind. Wer bin ich und wo stehe ich im Leben? Wie geht es weiter nach der Schule, welchen Beruf werde ich ergreifen und wo will ich hin?
Wer sich einer Jugendkultur anschließt, kann so auch mit seiner Identität experimentieren. Grell gefärbte Haare, düster geschminkte Augen: Welche Wirkung haben Äußerlichkeiten auf meine Umwelt? Wie fühle ich mich stärker?
Und: Jede Gruppe trägt durch Kleidung, Accessoires und Musik eine innere Haltung zur Schau. Die Codes der Hip Hopper - lässige Kleidung und lockerer Gang - signalisieren eine entspannte Haltung zum Leben, während die Emos stark auf ihr Seelenleben fokussiert sind und die Punks setzen sich kritisch mit gesellschaftlichen Umständen auseinander.
In der Gruppe lassen sich auch Probleme der Außenwelt vergessen. Stress mit den Eltern, Sorgen in der Schule - die Gruppe schafft einen neuen sozialen Kosmos, in der der Alltag weit weg scheint. Gleichzeitig erlangen sie Sicherheit und Anerkennung in der Gruppe. Noch fehlt der Mut zum individuellen Stil. Noch wird das Selbstbewusstsein von der Gruppenzugehörigkeit gestiftet. Aber Abgrenzung ist der erste Schritt in Richtung Selbstständigkeit.
Jugendkultur und Schule
Auch in der Schule zeigen sich die Auswirkungen der Pubertät deutlich. Ungefähr ab Mitte der siebten Klasse, so die Erfahrung vieler Lehrer, beginnen einige Schüler vermehrt den Unterricht zu schwänzen oder sind unpünktlich. Zum Teil sitzen sie gelangweilt und unmotiviert in den Klassen und haben haben keine Lust zu lernen. Die Mädchen fangen an, sich zu schminken und experimentieren mit ihrem Outfit. In den Pausen kann man weitere Beobachtungen machen. Jungs- und Mädchengruppen beäugen sich skeptisch, tauschen verstohlen Blicke aus, erste Pärchen bilden sich und präsentieren sich stolz der Schulöffentlichkeit. Vor allem in Großstädten grenzen sich die verschiedene Grüppchen auf dem Pausenhof jetzt deutlich voneinander ab. Die Skater stehen deutlich getrennt von den Emos und wer jetzt noch auf Pop-Musik steht, wird vermutlich verhöhnt. Auch für die Lehrer meist keine einfache Situation.Oftmals ist es schwer, die Kinder für den Stoff des jeweiligen Faches zu erreichen. Ein Gymnasium in Düsseldorf hat deshalb beschlossen, den Heranwachsenden mehr Verantwortung zuzutrauen. Immerhin puppen sie sich gerade zu jungen Erwachsenen.
Vielleicht würden die Schüler auch einen besseren Zugang zu einigen Themen finden, zum Beispiel im Deutschunterricht, wenn man sie aktueller präsentiert: Emilia Galotti beispielsweise befand sich auch im Konflikt zwischen den Ansprüchen ihrer Eltern und ihren eigenen Bedürfnissen. Geht es den Jugendliche nicht manchmal ähnlich?
Und noch etwas kann hilfreich sein: Wenn Lehrer die Probleme und Konflikte der Kinder ernst nehmen. Streit und Belehrungen kennen sie schon zu genüge von zu Hause. Verständnis und eine Beziehung, in der sie für voll genommen werden, kann stattdessen die Motivation im Unterricht fördern.
Stress mit den Eltern nützlich
Wenn das Kind in seine eigene Welt abtaucht, ist diese Umbruchphase auch für die Eltern eine ungewohnte Situation. In manchen Familien werden auf einmal Türen geknallt, die Eltern werden beschimpft. Aus ehemals engen Eltern-Kind-Beziehungen entwickeln sich distanzierte Kontakte mit minimaler Kommunikation.Eltern können es nicht verstehen, warum ihr Kind mit kaputten Hosen, stark gefärbten Haaren und grell geschminktem Gesicht herumläuft und die Musik so laut aufdreht.
Experte in Sachen Pubertät Ralf Dawirs rät Eltern gegenüber Spiegel-Online zu mehr Gelassenheit: "Die Pubertät hat ja den Zweck, dass der Jugendliche sich emotional von den Eltern entkoppelt." Das sei, so der Autor weiter, "eine biologische Notwendigkeit, sonst kann er nicht erwachsen werden". Die Abgrenzung zur Welt der Erwachsenen habe, so Dawirs, einen wichtigen Nutzen. In der früheren Menschheitsgeschichte sei die Zeit der Adoleszenz sogar überlebenswichtig gewesen.
"Vor eineinhalb Millionen Jahren sind die Eltern meist gestorben, wenn die Kinder in die Pubertät kamen". Und weiter: "Das war die eigentliche Zeit des Erwachsenseins." Die Entwicklung im Jugendalter und die Risikofreude der Jungen sei damals ein hohes Gut gewesen. Heute hingegen, "erleben die Jugendlichen diese Phase oft als Zeit der Verbote durch die Eltern, die mit Mitte 40 verständlicherweise noch nicht abtreten wollen".
Mit der Abnabelung vom Elternhaus gehen die Kinder also einen wichtigen Schritt in Richtung Eigenständigkeit. Dazu gehört aber eben auch, eine eigene Meinung zu haben und sich ein eigenes Bild von der Welt zu machen. Klar, dass es da auch zu Reibungen zwischen den Generationen kommt.
Auch wenn die Abgrenzung einen wichtigen Zweck erfüllt, ist diese Phase für Eltern oft schwer zu ertragen. Die Distanz ihrer Kinder weckt in vielen Eltern Trauer. Ihr Kind ist nicht mehr länger ein Kind und nicht mehr in vollem Umfang auf sie angewiesen. Das heißt aber nicht, dass Eltern nun überflüssig werden. Immer noch ist das zu Hause ein wichtiger Zufluchts- und Rückzugsort. Wer die Turbulenzen dieses Alters nicht zu persönlich nimmt, kann seinen Kindern helfen, ein starker Erwachsener zu werden, der sich seiner Wurzeln sicher sein kann.
Wenn Eltern Freunde ihrer Kinder sein wollen
Problematisch kann es allerdings werden, wenn Eltern ihren Kindern die Abgrenzung nicht zugestehen, wenn sie Freunde ihrer Kinder sein wollen beziehungsweise selbst Codes der Jugendkultur verwenden. Heute tragen viele über 40-Jährige Attitüden der Jugend zur Schau: Bandaufnäher auf der Jeans, Motiv-T-Shirts und Sachen von H&M.Dabei steht hier nicht der Geschmack im Vordergrund, sondern die Frage, wie sich Jugendliche abnabeln sollen, wenn bereits alle Wege des Protests besetzt sind? Abgrenzung ist wichtig, findet auch Elisabeth Raffauf in ihrem Buch "Pubertät heute". Das sei aber nur möglich, "wenn Eltern nicht auf einer Stufe mit den Kindern stehen wollen, sondern ihre Meinung vertreten und es aushalten können, dass die Kinder sie zeitweilig ziemlich doof finden."
Jugendkultur als allgemeines Konsumgut
Ein weiteres Problem der Abgrenzung ist die weitgehende Kommerzialisierung von Trends, die auch vor Subkulturen nicht halt macht. War der abgewetzte Parka eben noch den Grungern vorbehalten, gehört er heute zum allgemeinen Chic. Die kaputten Hosen der Punks, einst Zeichen ihrer Rebellion gegen das Establishment, gibt es heute teuer von der Stange. Schrill gefärbte Haare - haben heute auch erwachsene Personen.Da viele Einflüsse der Jugendkultur auch auf die Mode von der Stange übergeht, wird die Abgrenzung immer schwieriger. Welche Mittel zur Abgrenzung bleiben den Jugendlichen noch, wenn sich die Erwachsenen die gleichen Codes verwendet? Muss die Jugend deshalb immer extremer werden? Und warum haben so viele erwachsene Menschen ein Problem mit dem älter werden? Hier greifen viele Fragen ineinander. Fakt ist jedoch, dass Abgrenzung ein wichtiger Schritt auf dem Weg in die Selbstständigkeit ist.
Das Kind auf seinem Weg unterstützen
Auch wenn die Eltern noch so verständnisvoll sein mögen, Auseinandersetzungen zwischen Jung und Alt werden sich nicht vermeiden lassen. Im Gegenteil: Sie sind sogar nützlich für die Heranwachsenden, um ihre Position in der Gesellschaft auszuloten. Trotzdem können die Erwachsenen ihren Kindern entgegen kommen und sie in ihrem Abnabelungsprozess unterstützen. Statt ständigen Verboten kann es hilfreich sein, den Heranwachsenden Dinge zuzutrauen. Ihnen Freiraum zu bieten, um die Welt neu zu entdecken. Dass soll nicht heißen, dass sie keine Grenzen brauchen. Grenzen schützen nicht nur, sondern bieten auch Halt. Aber es ist nur natürlich, dass der Jugendliche nun nicht mehr alles erzählt, dass er manche Erfahrungen vor seinen Eltern verbirgt.Auch wenn die Jugendlichen nun bald erwachsene Menschen sind: Sie sollten immer wissen, dass ihre Eltern für sie da sind und sie im Zweifelsfall Hilfe von zu Hause erwarten können.
Wenn das Kind langsam aber sicher erwachsen wird, wird es auch für die Eltern Zeit, sich neu zu orientieren. Bald werden die Jugendlichen ausziehen, die Alltagsstruktur wird sich dadurch komplett umstellen und die Eltern haben wieder mehr Zeit für eigene Interessen. Denn mit dem Flügge werden der Kinder beginnt auch für sie eine neuer Abschnitt im Leben.
Link- und Buchtipps
LinktippsZur Geschichte der Jugendkultur:
www.wissen.de
Webseite des "Archiv der Jugendkulturen"
www.jugendkulturen.de
Beitrag über die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Hirnentwicklung während der Pubertät:
www.spiegel.de
Buchtipps
Ralf Dawirs, Gunther Moll: Endlich in der Pubertät. Vom Sinn der wilden Jahre. Beltz. 2011.
Elisabeth Raffauf. Pubertät heute. Ohne Stress durch die wilden Jahre. Beltz. 2011.
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Über den Autor/die Autorin
Anna Bahr hat an der Universität Leipzig ihr Germanistik- und Philosophiestudium abgeschlossen. Seit einigen Jahren arbeitet sie als freie Redakteurin. Ihre thematischen Schwerpunkte sind Kinder und Familie sowie Kunst und Kultur.