Hochbegabtenförderung in der Grundschule

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von Dr. Birgit Ebbert

In den letzten Jahren hat sich im Bildungssystem viel getan, um Schüler zu fördern, die hinter den Leistungen ihrer gleichaltrigen Mitschüler zurückbleiben. In der Diskussion außen vor gelassen werden aber noch immer - von Einzelinitiativen abgesehen - hoch begabte Schüler, die den Leistungen ihrer Mitschüler weit voraus sind.

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Verpflichtende Rechtschreibtests für alle Schüler sind keine Seltenheit mehr, Schüler mit Beeinträchtigungen bekommen eine Integrationskraft an die Seite gestellt und dank der Pflicht zur Inklusion ist auch eine Behinderung gleich welcher Art kein Hinderungsgrund für den Besuch einer Regelschule. In der Diskussion außen vorgelassen werden aber noch immer - von Einzelinitiativen abgesehen - hoch begabte Schüler, die den Leistungen ihrer Mitschüler weit voraus sind. Hochbegabung wird hier als besondere intellektuelle Begabung verstanden und orientiert sich an den Fähigkeiten zur Problemlösung und Auffassungsgabe, die in den herkömmlichen Intelligenztests erhoben werden. Davon unberührt ist, dass es auch andere besondere Begabungen gibt, im musikalischen, sportlichen, sprachlichen oder handwerklichen Bereich, die mit dem üblichen Intelligenztest allerdings nicht erfasst und gemessen werden.

Zwar sehen die Schulgesetze auch eine adäquate Förderung hochbegabter Kinder vor, allerdings werden diese Schüler häufig gar nicht erst erkannt. Oder - wie Eltern berichten - als leistungsschwache Schüler gefördert, weil sie ihr Potenzial in der Schule nicht zeigen können oder bewusst unter den Scheffel stellen, um nicht aufzufallen. Dabei ist es wichtig, auch hoch begabte Kinder früh zu unterstützen, damit ihre Lernbiografie und ihre Beziehung zur Institution Schule nicht durch Misserfolge, Ablehnungen, Langeweile oder Unterforderung dauerhaft geschädigt wird. Die Grundschule hat durch die immer stärkere Binnendifferenzierung und die flexible Schuleingangsphase gute Bedingungen, hoch begabte Kinder zu fördern und zu fordern, sie muss sie nur stärker in den Blick nehmen. Das ist nicht leicht, weder für Eltern noch für Lehrer, weil Hochbegabung häufig schon nicht als solche wahrgenommen wird. Kapitel 2 geht daher auf die Verhaltensweisen ein, die Anzeichen für eine Hochbegabung sein können. Schon da liegt ein Knackpunkt, nicht jedes Kind, das eine der skizzierten Besonderheiten zeigt, ist hochbegabt.

Letztlich ist für ein Kind aber auch nicht relevant, ob es hochbegabt im Sinne eines Tests ist. Ein Intelligenztest ist ein Messinstrument, das Klarheit bringen kann, aber nichts am Verhalten des Kindes ändert. Die Empfehlungen, ob und wann ein Test durchgeführt werden sollte, sind widersprüchlich. Die einen raten grundsätzlich zur Testung, sobald mehrere der in Kapitel 2 benannten Verhaltensweisen auftreten, andere empfehlen eine Testung nur dann, wenn der Test dem Schüler hilft. Sofern er ohne Testung sein Potenzial ausleben kann, ist keine Testung erforderlich. Das ist insofern zu bedenken, weil jeder Test signalisiert, dass ein Kind anders ist, womit nicht jedes Kind zurechtkommt. Wichtig ist, dass jedes Kind so gefördert wird, dass es seine Möglichkeiten entwickeln kann. Wie dies bei hochbegabten Kindern aussehen kann, steht im Mittelpunkt von Kapitel 3. Der Artikel endet mit einer Liste von Internetartikeln und Büchern, die über diesen Beitrag hinaus Anregungen und Ratschläge enthalten.

Hochbegabung in der Grundschule erkennen

Ist es schon schwer, die Lernschwäche eines Kindes in einer Grundschulklasse zu erkennen, so ist es erst recht schwer, die Anzeichen für eine Hochbegabung zu deuten. Zumal manche Verhaltensweisen entwicklungsbedingt bei allen Schülern auftreten können, zum Beispiel sich als Klassenclown zu geben, um die Anerkennung der anderen Schüler zu erlangen. Andere Symptome zeigen sich ähnlich bei Kindern mit Lernschwächen: Zum Beispiel die Weigerung, etwas zu wiederholen. Während das den Hochbegabten zu dumm ist, haben die Lernschwachen Angst, erneut zu versagen – das Verhalten ist jedoch gleich. Vor diesem Hintergrund sind die im Folgenden skizzierten Verhaltensweisen zu sehen, die auf eine Hochbegabung hinweisen können. Entscheidend ist einerseits, dass die Besonderheiten kumuliert auftreten und dass sie andererseits auch außerhalb der Schule bemerkt werden. Deshalb ist ein Austausch mit den Eltern wichtig. Deren eigene Erfahrungen in der frühen Kindheit des Schülers und das Feedback, das sie aus dem Kindergarten erhalten haben, stützen in vielen Fällen den Verdacht auf Hochbegabung.

Die Reihenfolge stellt keine Prioritätenliste dar, sie orientiert sich daran, was Lehrerinnen und Lehrern gewöhnlich am ehesten auffällt:

  • Das Kind bekommt in Tests oder Klassenarbeiten schlechte Noten, obwohl seine Beiträge im Unterricht und die Hausaufgaben den Eindruck vermitteln, es hätte den Stoff sicher verstanden.
  • Das Kind hat einen Wortschatz, der dem seiner Mitschüler deutlich überlegen ist, und artikuliert sich gewählt, fast erwachsen.
  • Das Kind erfasst neuen Lernstoff schnell und stellt Fragen, die manchmal auch Lehrer nicht sofort beantworten können und die im Lehrplan höherer Klassenstufen angesiedelt sind.
  • Daher langweilt es sich schnell, zumal gerade in der Grundschule häufige Wiederholungen und einfache Aufgaben verlangt werden. Je nach Temperament zeigt das Kind seine Langeweile mehr oder weniger deutlich.
  • Das Kind verweigert Wiederholungen oder eintönige Aufgaben und wenn es sie denn doch löst, ist es schnell fertig, unter Umständen mit kleinen Flüchtigkeitsfehlern. Schwierige Aufgaben hingegen werden sorgfältig, schnell und richtig bewältigt.
  • Die Verweigerung, einfache Aufgaben zu lösen, zeigt sich auch bei den Hausaufgaben; gerade bei Übungen, bei denen nur Zahlen oder Wörter eingesetzt werden müssen und das Schema schnell erkennbar ist.
  • In der Klasse oder im Test kann das Kind Fragen häufig nicht beantworten, weil sie zu leicht sind und es sich nicht vorstellen kann, dass Lehrer so leichte Aufgaben stellen. Deshalb sind Hochbegabte oft sehr schlecht in mündlicher Mitarbeit.
  • Im Unterricht wirkt das Kind häufig abwesend. Wenn es aufgerufen wird, weiß es dennoch, woran die Klasse gerade arbeitet und kann meist sogar die richtige Antwort geben.
  • Das Kind lernt gerne allein, vermeidet Gruppenarbeit und ist bei Gruppenspielen, die intellektuell herausfordern, schnell gelangweilt. Das zeigt sich auch in Pausen, wo ihm laute Beschäftigungen ohne kognitive Herausforderung häufig zuwider sind.
  • Um dennoch die Achtung der anderen Kinder zu gewinnen, schlüpft der hochbegabte Schüler in die Rolle des Klassenclowns, der Aufmerksamkeit bekommt.
  • Das Kind beobachtet Mitschüler und Lehrer sehr genau und weist sie ggf. auf ihre Fehler hin.

Hochbegabte Grundschulkinder unterstützen

Das Grundprinzip der Begleitung hochbegabter Grundschüler ist dasselbe wie das der Unterstützung lernschwacher oder benachteiligter Kinder. Immer gilt es, das Potenzial des Einzelnen zu erkennen und mit passenden Angeboten die Entwicklung dieses Potenzials zu ermöglichen. Eine gut umgesetzte Binnendifferenzierung ist daher eine gute Grundlage für die Unterstützung. Aber selbst die reicht unter Umständen nicht aus, um dem Lernhunger der Hochbegabten nachzukommen. Welche Unterstützung genau nötig ist, kann nur im Einzelfall entschieden werden und selbst junge Grundschulkinder können klare Wünsche äußern, was sie zusätzlich lernen, erfahren oder erleben möchten. Nicht alles lässt sich in der Schule umsetzen, aber mit dem Wunsch, auch diesem Kind zu helfen, ist selbst in einer Regelschule viel möglich. Zumal alle Schulgesetze die individuelle Förderung vorsehen und somit auch evtl. ungewöhnliche Methoden oder Wege deckt.

  • Entscheidend ist die Haltung der Erwachsenen gegenüber hochbegabten Kindern. Auch diese müssen erfahren, dass sie richtig sind, so wie sie sind. Hochbegabte Kinder sind meist sensibel und spüren, wenn sie nicht wahrhaftig wertgeschätzt werden.
  • Hilfreich ist, mit dem Kind gemeinsam zu überlegen, welche Unterstützung nötig und möglich wäre, auch mit Blick auf die anderen Schüler. Es ist von einer Klasse abhängig, ob ein hochbegabter Schüler anspruchsvollere Aufgaben erledigen darf und nicht wie die anderen Wiederholungsübungen machen muss.
  • Jede Möglichkeit zur Binnendifferenzierung sollte genutzt werden, um dem oder den hoch begabten Kindern besondere Herausforderungen zu ermöglichen, das können spezielle Aufgaben oder kleine Aufträge sein. Denkbar ist sogar - je nach Klasse - ein Coaching-System, bei dem die hoch begabten Schüler ihren Klassenkameraden helfen.
  • Ebenfalls nützlich sind sämtliche Formen der Freiarbeit, am Computer oder in einer Bücherecke, mit Wochenplänen oder Projektarbeiten. Unabhängig von diesen Möglichkeiten innerhalb einer Klasse werden organisatorisch in Schulen verschiedene Modelle umgesetzt, derzeit eher in weiterführenden Schulen, aber grundsätzlich sind sie auch in Grundschulen realisierbar.
  • Überspringen von Klassen (Akzeleration). Bei diesem Modell werden Kinder zu einem der Zeugnistermine oder auch im laufenden Schuljahr in die nächsthöhere Klasse versetzt. Das hat den Vorteil, dass sie stofflich gefordert sind, allerdings bedeutet das auch den Verlust des gewohnten Klassenumfeldes und sollte daher wohl bedacht werden.
  • Teilweises Springen in die nächsthöhere Klasse (Teilakzeleration, Pull-Out, Drehtüren-Modell). Dieses Modell, das unter verschiedenen Bezeichnungen kursiert, setzt darauf, dass die Kinder nur für einzelne Fächer den Unterricht der nächsthöheren Klasse besuchen, je nachdem, welcher inhaltlicher Schwerpunkt sich zeigt. Das kann im Prinzip in jedem Fach geschehen und bietet den Vorteil gegenüber dem Überspringen, dass das Kind im Klassenverband bleibt. Wichtig ist dann jedoch, dass der Klasse erklärt wird, weshalb dieses Kind das Privileg erhält.
  • Unter dem Begriff Enrichment werden spezielle Angebote für hochbegabte Kinder subsummiert, die entweder in der Klasse stattfinden, indem das Kind besondere Aufgaben erhält, oder anstelle des Unterrichts (wie der Entdeckertag in Rheinland-Pfalz) oder sogar außerhalb des Unterrichts in AGs oder Kursen.
  • Manche Schulen bzw. Bundesländer richten spezielle Klassen für hochbegabte Schüler ein, sogenannte D-Zug- oder Projektklassen. Allerdings existieren diese eher an weiterführenden Schulen als an Grundschulen, was auch daran liegt, dass für die Einrichtung einer solchen Klasse eine Mindestschülerzahl vorhanden sein muss, die in Grundschulen nicht immer gegeben ist.


Welche Maßnahmen auch immer ergriffen werden, um hochbegabte Grundschulkinder ihrem kognitiven Potenzial gemäß zu fördern, wichtig ist immer, dass auch ihre emotionale und soziale Entwicklung in den Blick genommen wird und sie als Kinder behandelt werden, selbst wenn sie mental älter wirken.

Links und Literatur


Links

 


Literatur

 

  • Infobroschüre Initiative zur Förderung hochbegabter Kinder e. V. o. J. PDF: http://www.hbkinder.org/uploads/InfoBroschuere/InfoBroschuere.pdf

  • Olaf Steenbuck, Helmut Quitmann, Petra Schreiber (Hrsg.) Inklusive Begabtenförderung in der Grundschule: Konzepte und Praxisbeispiele zur Schulentwicklung. Beltz 2011

  • Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind e.V.: Hochbegabte Kinder in Schule und Gesellschaft. LIT-Verlag 2001

  • Jost, Monika: Hochbegabte erkennen und begleiten. Ein Ratgeber für Schule und Elternhaus. Universum Verlag 2003

  • Reketat, Heike: Offener Unterricht. Eine Fördermöglichkeit für hoch begabte Kinder in Regelschulen!? LIT-Verlag 2001

  • Sabine Schulte zu Berge: Hoch begabte Kinder in der Grundschule. Erkennen - Verstehen - Im Unterricht berücksichtigen. LIT-Verlag 2005

 

 

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Über den Autor/die Autorin

Dr. Birgit Ebbert ist freie Autorin und als Diplom-Pädagogin seit vielen Jahren in der Elternarbeit und Lehrerfortbildung tätig. Neben Kinderbüchern und Krimis schreibt sie Elternratgeber, Lernhilfen, Vorlesegeschichten und Bücher über kreatives Arbeiten mit Papier.

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