Armes Elternhaus – geringere Bildungschancen
Armes Elternhaus – geringere Bildungschancen
Immer wieder wird das deutsche Bildungssystem in internationalen empirischen Studien dafür gerügt, dass der entscheidende Faktor für eine erfolgreiche Bildung eines Schülers das Elternhaus d.h. die soziale Herkunft sei. Dabei spiele die materielle Situation der Eltern eine wichtige Rolle. Kinder aus sozial benachteiligten Familien geraten eher ins Abseits, wenn es darum geht einen optimalen Bildungsabschluss zu erreichen.
Materielle Armut und ihre Nebeneffekte
Laut Deutschem Kinderschutzbund leben über 2,5 Millionen Kinder unter 18 Jahren in Armut in Deutschland. Die Definition von "arm" ist umstritten. Wie auch immer jedoch die Definition von Armut ausfällt, sog. arme Kinder sind nicht nur in materieller Hinsicht benachteiligt: Sie haben häufiger eine schlechtere Gesundheit als Kinder, die nicht arm sind. Sie leben in ungünstigen Wohnverhältnissen. Auch nehmen sie seltener am kulturellen und gesellschaftlichen Leben teil. Sie haben Defizite in der Sprachentwicklung und im Arbeitsverhalten.
Die finanziellen Verhältnisse wirken sich entsprechend nicht nur direkt ungünstig auf die Bildungschancen eines Kindes aus sondern die beschriebenen Nebeneffekte von Armut kommen erschwerend hinzu. Ist die Sprache schlecht entwickelt, fällt die Zensur in Deutsch und auch in anderen Fächern zwangsläufig schlechter aus. Ein Kind mit vielen krankheitsbedingten Fehlzeiten hat es schwer in der Schule mitzuhalten.
Materielle Armut, die möglicherweise über Generationen in einem Elternhaus besteht, wirkt sich besonders ungünstig auf Bildungserfolg von Schülerinnen und Schülern aus.
Insgesamt ist eine ganzheitliche Förderung armer Kinder, die sich nicht auf finanzielle Fragen reduziert, wenig im Fokus schulpolitischer Anstrengungen und im Bewusstsein von Lehrerinnen und Lehrern. Die existierenden, nicht-materiellen Probleme armer Kinder, die einen optimalen Bildungsabschluss verhindern, sind bestenfalls ein Thema in der Forschung, weniger im Schulbetrieb vor Ort. Diesen Kindern fehlt es oft an Selbstvertrauen. Sie schämen sich mit zunehmendem Alter für ihre Eltern und ihr Elternhaus. Manchmal geraten sie in ihren Familien unter Druck, wenn Eltern, Verwandte und Geschwister sie als "Streber" titulieren. Kinder, die aus einem "armen" Elternhaus kommen und einen hohen Bildungsabschluss anvisieren und /oder erreichen, gewinnen zwar außerhalb ihrer Familie an Ansehen, innerhalb ihrer Familie kann sich unterschwellig ein Entfremdungsprozess in Gang setzen.
Arme Eltern haben oft ein ambivalentes Verhältnis zu Schule und Bildung. Auf der einen Seite macht es sie stolz, wenn ihr Kind in der Schule mithalten kann, aber es kann auch zu Neid oder zu einer Abqualifizierung der Leistung der Schülerin/des Schülers kommen, denn Bücher lesen ist keine Arbeit und bringt nichts ein.
Nachhilfeunterricht – Ein konkretes Beispiel
In fast jedem Schülerleben gibt es Zeiten, in denen die schulischen Leistungen zu wünschen übrig lassen.
Die Gründe dafür können vielfältig sein: Eine längere Krankheit oder familiäre Probleme. Defizite können sich leicht manifestieren. Schülerinnen und Schüler verlieren den Glauben an ihre Fähigkeiten. Vorurteile und Urteile über Schülerinnen und Schüler hinsichtlich ihrer Bildungsfähigkeit breiten sich leicht aus. Ungünstige Faktoren kommen zusammen und die schulischen Leistungen sowie der schulische Ehrgeiz verschlechtern sich. Innerlich suchen Schülerinnen und Schüler dann an anderen Stellen ihre Erfolgserlebnisse. Sensible Zeiten für solche Problemlagen sind z.B. häufig während der Pubertät, am Ende der Grundschulzeit oder vor den Abiturprüfungen. Besonders problematische Schulfächer, in denen häufig Nachhilfe erteilt wird, sind beispielweise Mathematik oder Englisch seltener Sport, Kunst oder Religion.
Wie wird in Elternhäusern auf schlechte Leistungen reagiert?
Grobe Verallgemeinerungen können nicht getroffen werden, aber Eltern, die über die finanziellen Mittel verfügen, ermöglichen ihren Kindern oft privat finanzierten Nachhilfeunterricht. Der private Nachhilfemarkt boomt. Das ist ein deutliches Zeichen dafür wie häufig die Antwort auf schulische Probleme mit Geld zusammen hängt. Nachhilfeunterricht verschafft Kindern, die ihn erhalten, oft Vorteile, weil sich mit der Nachhilfe die Zensuren verbessern. Wie viel Förderung sie erhalten für die gute Zensur im Vergleich zu weniger begüterten Kindern bleibt oft ein Geheimnis in der Schule.
Eltern, die nur wenig finanzielle Mittel zur Verfügung haben, finanzieren diesen Nachhilfeunterricht oft nicht. Ihr Budget ist am Monatsende aufgebraucht und Extras sind nicht zu finanzieren. Die Smartphones der Kinder, Klassenfahrten sowie Markenkleidung müssen auch bezahlt werden, damit ein Schüler/eine Schülerin sozial nicht ganz in eine Außenseiterrolle gerät.
Wie hilfreich ist der Bildungsgutschein? Er kann helfen aber nur etwas. Mithilfe des Bildungsgutscheins kann die Finanzierung von Nachhilfeunterricht u.a. beantragt werden. Finanziert wird jedoch nur soweit als das Lernziel/Klassenziel erreicht wird. Es geht also nicht darum, darüber hinaus, ein ehrgeiziges, optimales Bildungsziel zu finanzieren.
Geld für Schülerinnen und Schüler nach der Schulpflicht
In den 1970er Jahren bekamen Gymnasiastinnen und Gymnasiasten aus Familien mit einem geringen Budget Schüler-BAFÖG, das nicht zurück gezahlt werden musste. Das ist lange her. Die BRD ließ sich an dieser Stelle die höhere Bildung der geburtenstarken Jahrgänge etwas kosten, denn das Land stand noch unter dem Eindruck des sog. Sputnikschocks.
Schüler-BAFÖG ist heute nicht ganz abgeschafft aber es wird nur noch an wenige ausgezahlt, z.B. wenn Schülerinnen und Schüler nicht mehr zu Hause wohnen aus bestimmten Gründen oder wenn sie das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg anvisieren.
Eine weniger bekannte Möglichkeit, finanzielle Hilfe für eine höhere Schulausbildung zu bekommen, ist die Bewerbung für ein Schülerstipendium. Manche Stiftungen fördern auch Schülerinnen und Schüler, z. B. die Stiftung "Der Studienkompass" oder die START-Stiftung. Es gibt weitere Stiftungen je nach Bundesland, die Schülerinnen und Schüler fördern.
Ganztagsbetreuung – Ein Garant für optimale Bildungschancen?
Insgesamt ist die Gefahr die (schulische) Ausbildung vorm Erreichen eines optimalen Bildungsabschlusses aufzugeben groß, wenn die finanziellen Ressourcen knapp sind in der Herkunftsfamilie.
Ist die Ganztagsbetreuung für Schülerinnen und Schüler ein Garant für bessere Bildungschancen für Kinder aus armen Familien? Für manche Schülerinnen und Schüler sicher aber nicht in jedem Fall. Viel hängt davon ab, ob die Ganztagsbetreuung von Fachkräften durchgeführt wird und ob die Betreuung langfristig angelegt ist. Im Bildungssektor wird gern an qualifiziertem Personal gespart. Arme Kinder sind dann zwar in der Betreuung in der Schule aber ihre Bildungschancen sind dennoch nicht optimal. In dieser Hinsicht entstehen leicht Missverständnisse: Eltern vertrauen auf eine qualifizierte, optimale Betreuung in Ganztagsschulen durch Fachkräfte, diese ist aber in öffentlich finanzierten Schulen oft nicht möglich. Häufig ist armen Eltern der monatliche Beitrag für das tägliche Mittagessen in der Schule zu viel Geld und nicht einmal dieser kleine Beitrag wird zuverlässig überwiesen.
Darüber hinaus muss allen Eltern sowie Schülerinnen und Schülern klar sein, dass eine überdurchschnittliche Bildung nur möglich ist, wenn man dieser auch eine hohe Priorität im Leben einräumt, d.h. sowohl in finanzieller als auch in anderer Hinsicht. Mit einer hohen Lernmotivation, der Suche sowie dem Bereitstellen günstiger Lernbedingungen, die über das Materielle hinaus gehen, kommt oft auch das Gelingen.
Kommentar: Vorbilder und Mentoren können helfen
Schülerinnen und Schüler, die aus materiell weniger begüterten Elternhäusern kommen, haben schlechtere Chancen auf eine gute Bildung. Das ist oft so, weil Armut häufig auch für eine bildungsfeindliche, insgesamt missliche Lebenssituation steht. Allerdings ist die Situation nicht so, dass die Benachteiligung unausweichlich ist, wenn man bewusst gegensteuert.
Arme Familien, die der (schulischen) Ausbildung ihrer Kinder hohe Priorität geben, haben Möglichkeiten, finanzielle Unterstützung zu bekommen. Die Scham, diese zu beantragen, muss überwunden werden und die existierenden Möglichkeiten müssen auch stärker in die schulische Elternarbeit einbezogen werden. Der bürokratische Aufwand finanzielle Unterstützung zu beantragen ist allerdings oft groß. Auch deshalb scheuen viele davor zurück.
Eine materiell angespannte Situation in einer Familie wirkt sich vor allem auch psychisch aus: Das Lebensgefühl ist unsicher, weniger auf die Zukunft gerichtet. Wenn die schulischen Leistungen eines Schülers eher mittelmäßig sind, aber im Prinzip noch gut genug, wird unter diesen Umständen dann oft von einem optimalen Schulabschluss z.B. Abitur mit anschließendem Studium abgesehen. Die Geduld und der Optimismus für eine so lange (schulische) Ausbildung fehlen.
Intelligente, leistungsstarke Schülerinnen und Schüler aus armen Elternhäusern brauchen Vorbilder oder erfahrene Mentorinnen und Mentoren, die ihnen ganz praktische Tipps zur Finanzierung ihrer Bildungsziele geben. Diese Vorbilder müssen sie aber auch psychisch unterstützen, damit sie besser durchhalten und kritische Phasen überstehen. Jeder ehemalige Schüler/jede ehemalige Schülerin aus einer "Hartz IV" Familie, der/die erfolgreich studiert hat oder seine Meisterprüfung absolviert hat, kann so ein Vorbild oder Mentor sein. Die Wiedereinführung des Schüler-BAFÖGs in einer Weise, die diese finanzielle Unterstützung nicht zur Ausnahme werden lässt, kann helfen finanzielle Engpässe zu abzumildern.
Buch- und Linktipps
Buchtipp:
Becker, R. und Lauterbach W. (Hrsg.) Bildung als Privileg: Erklärungen und Befunde zu den Ursachen der Bildungsungleichheit VS Verlag für Sozialwissenschaften 4. Auflage September 2012
Linktipps:
Wieviel BAFÖG steht uns zu?
&raqou: www.bafoeg-rechner.de
Hier findet man u.a. Informationen zur Möglichkeit, sich um Schülerstipendien zu bewerben.
&raqou: www.arbeiterkind.de
Hildegard Dierks arbeitet seit vielen Jahren als Online-Autorin und Online-Redakteurin für verschiedene Zielgruppen, z.B. Eltern. Zu ihren Themenschwerpunkten zählen alle Themen rund um Grundschule, Fremdsprachenlernen, Musikerziehung, computergestütztes Lernen aber auch schulpolitische Themen.