Schulreformen und „Elternboykott“

Entwicklung und Erziehung
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von Dr. Lisa Mundzeck

Auf vielen Gebieten im Schul- und Bildungsbereich sind seit langem Reformen notwendig. Doch oft sperren Eltern sich gegen die geplanten Vorhaben aus der Politik. Erfahren Sie hier mehr!
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Hamburg - Ein Beispiel Auf vielen Gebieten im Schul- und Bildungsbereich sind seit langem Reformen notwendig. Trotz leerer Kassen werden diese immer dringlicher, und das nicht erst seit PISA.

Nun sollte man meinen, Schulreformen wären im Sinne der Eltern, kommen doch kleine Klassen und gut ausgebildete Lehrer ihren Kindern mehr oder minder direkt zugute. In manchen Fällen ist das jedoch anders und Eltern sperren sich gegen die geplanten Reformvorhaben aus der Politik.


Beispiel Hamburg: geplante Schulreform und Elternproteste

In der Hansestadt plant der schwarz-grüne Senat eine Reform des herkömmlichen dreigliedrigen Schulsystems an sich:

  • Danach sollen die Kinder in Zukunft statt vier sechs Jahre gemeinsam in einer Primarschule lernen und nicht schon nach der vierjährigen Grundschulzeit auf die weiterführenden Schulen wechseln.
  • Nach den ersten sechs Schuljahren sollen die Schüler entweder auf eine so genannte Stadtteilschule gehen können, die alle Schulabschlüsse anbietet (Abitur nach 13 Jahren), oder aufs Gymnasium, das mit dem Abitur nach zwölf Jahren abschließt.
  • Darüber hinaus soll das Elternwahlrecht abgeschafft werden.


Eltern-Protest Das, was an und für sich plausibel klingt, ruft bei vielen Hamburger Eltern Protest hervor.

Die Gegner der Reform haben eine Initiative unter dem Titel "Wir wollen lernen" ins Leben gerufen - und fordern eine Abkehr vom Reformvorhaben des Senats. Sie kämpft für den Erhalt der vierjährigen Grundschule und das Elternwahlrecht beim Übergang auf die weiterführenden Schulen.

Als Eltern fühlen sie sich übergangen und kritisieren, dass die Reform ohne eindeutiges Mandat der Wähler vonstatten gehen soll. In einem Volksbegehren haben sich 184.500 Hamburger im November 2009 gegen die Schulreform ausgesprochen. Per Volksentscheid hoffen die Gegner, die Reform schließlich stoppen zu können.

Polarisierung einer Stadt Polarisierung zwischen Gegnern und Befürwortern der Reform

Das Vorhaben des schwarz-grünen Senats in Hamburg polarisiert die Stadt geradezu. Gegner und Befürworter liefern sich verbale Schlachten im Internet, mit Plakat- und Unterschriftenaktionen werben beide Seiten sehr massiv für ihre Positionen.

Die Befürworter werfen den Gegnern vor, dass diese nur die Gymnasien in Gefahr sähen und verhindern wollten, dass ihre Kinder mit so genannten Migranten- oder Unterschichtenkindern zusammen in der Klasse säßen.

Die Gegner wiederum sehen es als Beschneidung der persönlichen Freiheit an (und nennen es diktatorisch), wenn nicht mehr sie als Eltern, sondern die Lehrer entscheiden, auf welche Schule ihr Kind gehen wird.

Eltern als „Bremser“? Hamburg ist nur ein Beispiel dafür, wie allergisch Eltern auf (größere) Veränderungen im Schulsystem reagieren können. Doch es muss ja nicht gleich um die Abschaffung oder Reformierung des Systems an sich gehen - auch bei anderen Veränderungen sind viele skeptisch - etwa, wenn es um neue Lernformen wie individuelles Lernen geht.

Nur wenn es dem eigenen Kind nützt, setzten sich Eltern für eine gerechtere Gesellschaft ein, so Christian Füller in der ZEIT-Online. Nur wenn nicht gerade das eigene Kind eine schlechte Note bekommt, seien sie Verfechter für Noten in der Schule, ansonsten seien gerade Eltern die größten Bremser, wenn es um Reformen im deutschen Schulsystem gehe, so Füller.

Nun stehen die Eltern von heute jedoch auch unter einem besonderen Druck. Christian Füller verweist auf den dänischen Familientherapeuten Jesper Juul, nach dem es gerade der Überfluss in vielfältigen Gesellschaftsbereichen sei, der vielen Eltern das Leben schwer mache. Diese Überfülle in allen Lebensbereichen, "Wir-müssen-alles-richtig-machen-Gedanken" und (Früh-)Förderungsprogrammen sorgen dafür, dass viele das Selbstverständliche nicht mehr sehen und verloren sind im Erziehungsdschungel der vielfältigen Möglichkeiten.

Fazit Gerade Schulreformen sind damit offensichtlich ein Gebiet, bei dem es grundsätzlich sehr kontrovers zugeht. Viele Menschen sind zwar per se für Veränderungen, doch wenn es die eigene Person/Familie betrifft, herrschen vielerorts immer noch recht festgefahrene Denkweisen vor, die nicht so leicht zu überwinden sind. Hier kann sich insbesondere zeigen, dass sich jeder selbst der nächste ist und dass es in Deutschland noch immer ein Klassendenken gibt, das zumindest aus den Köpfen nicht so leicht zu vertreiben ist.

Zu beobachten ist, dass besonders Pläne, das Gymnasium abzuschaffen und in ein Schulmodell zu integrieren, das alle Schulformen gleichzeitig beinhaltet, - ergo das bisherige dreigliedrige abzuschaffen - bei Eltern immer wieder auf harschen Widerstand stoßen.

Schade - denn ein Umdenken in den Köpfen und ein gemeinsames Miteinanderlernen würde den Kindern aller Schichten und Bildungsniveaus sicher gut tun - und es böte die Chance, das soziale Ungleichgewicht, in dem die soziale Herkunft die Schullaufbahn und den schulischen Erfolg bestimmt, ein Stück weit entgegenzutreten.

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Themen:
Reformen
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Über den Autor/die Autorin
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Dr. Lisa Mundzeck ist promovierte Historikerin und arbeitet als freie Online-Journalistin, wissenschaftliche Autorin und Archivarin in Hannover.

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