Jahrgangsgemischte Klassen – kann das funktionieren?
Jahrgangsgemischte Klassen – kann das funktionieren?
Ob jahrgangsgemischte Klassen ein Konzept aus der Mottenkiste oder Pädagogik der Zukunft sind, darüber wird in vielen deutschen Regionen derzeit heftig diskutiert. Lange galt die Idee als völlig überholt. Jahrgangsgemischte Klassen kannte Opa aus seiner Jugend auf dem Dorf, sie waren für viele zum Sinnbild bildungspolitischer Rückständigkeit geworden. In den 60er und 70 er Jahren gerieten die Dorf- oder "Zwergenschulen" deshalb in die Kritik - und wurden fast überall geschlossen.
Schülerschwund ist neben pädagogischer Überzeugung heute ein wichtiges Argument für einen zweiten Blick auf das Instrument Jahrgangsmischung. Aber auch reformpädagogische Ansätze wie der von Maria Montessori oder Peter Petersen setzen seit jeher auf das Prinzip Altersmischung. Nach dem Motto "Es ist normal, verschieden zu sein", gehören jahrgangsgemischte Gruppen hier zum pädagogischen Programm. Es setzt bewusst auf den Gewinn der Differenz.
Praktiziert wird das Konzept heute in der Regel im Grundschulbereich, wo zum Beispiel die Klassen 1 und 2 sowie 3 und 4 gemeinsam unterrichtet werden. Aufgrund schwindender Schülerzahlen setzen aber auch Hauptschulen schon auf die Jahrgangsgemischten Klassen. Man versteht darunter den bewussten organisatorischen, didaktischen und pädagogischen Umgang mit Altersmischung innerhalb einer Klassengruppe. De facto besteht Altersmischung ja sowieso in den meisten Klassen. "Kann"-Kinder, Überspringer oder Wiederholer sorgen dafür, dass im Extremfall das Altersspektrum innerhalb einer Klasse um bis zu vier Jahre variieren kann. Auch wenn das eher die Ausnahme bleibt - Altersunterschiede von bis zu zwei Jahren sind nicht ungewöhnlich. Für den geplanten Einsatz der jahrgangsgemischten Klassen sprechen einige Argumente:
- Schülerinnen und Schüler unterstützen sich gegenseitig beim Lernen, davon profitieren beide Seiten. Der "Erklärer", weil sich so sein Wissen festigt, der "Zuhörer", weil sein Lehrer unter Umständen besser auf seine Probleme eingehen kann und weniger Hemmungen bestehen. Durch die Altersmischung kann jedes Kind sich mal als Stärkerer, mal als Schwächerer erleben.
- Jüngere Kinder lernen schneller Methoden wie Lernplakate, Gruppenarbeit, Freiarbeit, Verhalten im Unterricht etc.
- Mehr Anregung für jedes einzelne Kind, weil mit größerer Altersspanne vielfältige Interessen und Fähigkeiten in der Gruppe auftreten.
- Kinder übernehmen mehr Verantwortung für ihr eigenes Lernen und über sich daran, den Lernprozess mit zu gestalten.
- Guter Organisationsrahmen für das Herausbilden soziale Kompetenzen.
- Gibt Schülerinnen und Schülern, die das benötigen, mehr Zeit für ihren Lernprozess.
- Altersmischung entspricht der Lebensrealität, die viele Kinder aus Familie, Kindergarten und Verein kennen.
Schülerzahlen sinken um ein Fünftel
Ein gewichtiges Argument stellt darüber hinaus die demografische Entwicklung dar. Im Bericht "Bildung in Deutschland" aus dem Jahr 2010 ist die Zukunft skizziert: Aufgrund der Bevölkerungsentwicklung wird die Zahl der Schülerinnen und Schüler an allgemeinbildenden Schulen von neun Millionen im Jahr 2008 auf 7,3 Millionen im Jahr 2025 zurückgehen - ein Schwund von einem Fünftel. In Schulformen wie der Hauptschule, die jetzt schon vielerorts kaum noch ihre Klassen füllen, kann jahrgangsübergreifender Unterricht dann zum Bestehen der Schule beitragen.
Viele Eltern haben dennoch Probleme mit dem Konzept. Nicht ausreichend feste Regeln, zu viele Freiheiten, keine stabilen Klassenverbände, Leistungsabfall bei den besseren Schülern zugunsten der Schwächeren, so lauten die Gegenargumente. Doch diese halten genauerem Hinsehen nicht stand, sagen Experten. Weder würden aus jahrgangsgemischten Klassen weniger Kinder aufs Gymnasium übertreten, noch müssten mehr wiederholen.
Aufgrund der Vorbehalte ist es wichtig, auf Ängste und Befürchtungen einzugehen. Bewährt hat sich, die Entscheidung für ein solches Konzept im Vorfeld breit mit allen Beteiligten zu diskutieren. Sinn macht Jahrgangsmischung nämlich nur dann, wenn ihr Ziel klar sichtbar ist und wenn sie Hand in Hand mit der systematischen Förderung individueller Lernwege und deren Förderung umgesetzt wird.