Viele Menschen wünschen sich mehr Zeit für die Familie-
Interview mit Friedhelm Schwiderski
Entwicklung und Erziehung
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Viele Menschen wünschen sich mehr Zeit für die Familie-
Interview mit Friedhelm Schwiderski
von Bettina Levecke
Was möchte ich im neuen Jahr besser machen? Autorin Bettina Levecke hat mit Friedhelm Schwiderski gesprochen: Wie schafft man es, dass die schönen Absichten nicht an den Klippen des Alltags stranden?
Lesedauer:
4 min
Was möchte ich im neuen Jahr besser machen? Rund um die Zeit des Jahreswechsels werden gute Vorsätze geschmiedet.
Einer der Hauptwünsche: Endlich mehr Zeit für die Liebsten haben. Doch nicht immer wird aus Wunsch auch Wirklichkeit.
Unsere Autorin Bettina Levecke hat mit dem Hamburger Paar- und Einzeltherapeuten Friedhelm Schwiderski gesprochen: Wie schafft man es, dass die schönen Absichten nicht an den Klippen des Alltags stranden?
Bettina Levecke: Neues Jahr, neues Glück: Was macht den Jahreswechsel so attraktiv, um neue Vorsätze zu schmieden?
Friedhelm Schwiderski: Silvester und der Jahreswechsel sind einfach ganz besondere Daten. Der Beginn eines neuen Jahres bedeutet gleichzeitig den Abschied vom alten Jahr. Und wenn es um das Verabschieden geht, blickt man automatisch zurück. Was hat mir im vergangenen Jahr gut gefallen? Welche Momente waren schön? Aber auch: Was ist schief gelaufen? Bei diesem persönlichen Rückblick spürt man auch Sehnsüchte oder man bekommt eine Vorstellung davon, wie man sich sein Leben eigentlich vorstellt.
Und so werden dann natürlich Vorsätze und Wünsche laut, wie das Leben besser sein könnte. Bei vielen Eltern ist das vor allem der Wunsch, mehr Zeit für die Familie zu haben, ganz besonders für die Kinder.
Wieso ist dieser Wunsch so verbreitet? Haben Sie eine Erklärung?
Friedhelm Schwiderski: Das moderne Leben zeichnet sich durch ein extrem hohes Tempo aus. Der Alltag ist sehr dicht, steckt voller Erwartungen, Termine, Aufgaben und Herausforderungen. Ob Beruf, Haushalt, Familie, Freizeit: Die meisten Menschen heute fühlen sich heute zumindest in Teilbereichen überfordert. Wir sehen es an der Häufigkeit der Burn-Out-Erkrankungen oder auch am hohen Krankenstand, dass die Überforderung des Einzelnen längst keine Ausnahme mehr ist. Auch ich erlebe täglich in meiner Praxis, dass es ein tiefes Bedürfnis der Menschen nach mehr Zeit gibt: Man wünscht sich mehr Zeit für die Familie, aber auch speziell für den Partner oder auch für sich selbst. Gerade Eltern laufen häufig mit einem dauerhaft schlechten Gewissen durch das Leben, weil sie sich eigentlich mehr Zeit für ihre Kinder wünschen.
Mit Schule, Hausaufgaben und Hobbies ist der Alltag einer Familie schnell sehr eng terminiert. Kann man da überhaupt gegensteuern?
Friedhelm Schwiderski: Natürlich ist es schwer. Die Erwartungen an das, was man erreichen will und was man seinen Kindern ermöglichen will, sind riesig groß. Und es gibt unendlich viele Wege und Möglichkeiten. Blickt man allein auf die ganzen Angebote zur Förderung von Kindern, kann einem schon schwindlig werden. Nimmt man zu viel davon wahr, kann es aber ganz schnell passieren, dass man das Kind mit dieser Fülle komplett überfordert. Und den Familienalltag auch.
Sie arbeiten auch mit Familien, können Sie ein Beispiel nennen, wie eine klassische Überforderung aussieht?
Friedhelm Schwiderski: Vor kurzem habe ich eine Familie begleitet, die auch beklagte, niemals Zeit zu haben. Vater, Mutter, zwei Kinder. Wir haben uns ein normales Wochenende rausgegriffen und auf eine Liste geschrieben, was an diesen zwei Tagen stattfinden soll. Die Familie kam auf sagenhafte 10 Termine. Wir haben uns diese 10 Termine dann genauer angeschaut und schnell wurde deutlich: Das kann man gar nicht schaffen. Das ist total verrückt! Und dann wurde sortiert: Was wollen wir wirklich? Und was tut uns als Familie auch gut? Wichtig ist ja zunächst auch, erstmal wahrzunehmen, wie sehr man sich überanstrengt und überfordert. Viele Familien sind so an die Hektik gewöhnt, dass sie das als ganz normal betrachten.
Hilft denn dann ein guter Vorsatz überhaupt?
Friedhelm Schwiderski: Natürlich! Das ist der erste Schritt, denn man erklärt eine klare Absicht. Wichtig ist es dann aber, auf diese Absicht auch Taten folgen zu lassen. Wer sich mehr Zeit für die Familie wünscht, muss sich diese nehmen. Und das möglichst konsequent, sonst versickert das schöne Vorhaben ganz schnell.
Wie wird denn aus Absicht Wirklichkeit?
Friedhelm Schwiderski: Ich rate Familien, sich mit dem eigenen Alltag auseinanderzusetzen. Dafür kann man sich an einen Tisch setzen, sich den Terminkalender vorknöpfen und mal genau schauen: Was machen wir da eigentlich von Montag bis Freitag? Muss das alles sein? Kann man Dinge vereinfachen? Wichtig und hilfreich ist es dann, feste Zeiten einzurichten, z.B. einen Abend pro Woche, bei dem die Familie bewusst zusammenkommt. Oder feste Kuschelzeiten, Zeiten für den Partner oder speziell für ein Kind.
Klingt nach Ritualen…
Friedhelm Schwiderski: Genau! Rituale sind ein ganz tolles Mittel, um Familienzeit zu schaffen, denn sie sind verbindlich und vermitteln Kindern Stabilität und Sicherheit. Wenn Dienstags immer Papatag ist und der Papa das dann mal vergisst, kann das Kind ihn direkt dran erinnern. Rituale verinnerlichen sich, das erleichtert die Sache!
Und was macht man am besten in der freigeschaufelten Zeit?
Friedhelm Schwiderski: Der Klassiker: Kaum ist "freie Zeit" da, werden schon wieder Klamotten gepackt um sich in irgendeine Freizeitaktivität zu stürzen. Viele Eltern denken, dass sie die "Qualitäts-Zeit" mit ihren Kindern nur gut gestalten, wenn sie ihnen auch was Besonderes bieten. Letztlich entsteht dadurch aber häufig wieder nur Stress. Zeit füreinander zu haben, bedeutet sich Zeit füreinander zu nehmen - das geht nicht wirklich, wenn man durch einen vollen Freizeitpark läuft. Weniger ist mehr! Es ist zum Beispiel total schön, einfach zusammenzukommen und erstmal gar nichts zu machen. Kuscheln, reden, auf dem Sofa liegen: Warten Sie einfach mal ab, was dann passiert und welche Ideen auftauchen.
Und wenn die Kinder sich dann langweilen?
Friedhelm Schwiderski: Dann ist das mal so. Es ist ja auch eine Frage der Gewöhnung: Wer immer nur Hektik hat, wenn immer der Fernseher läuft oder irgendwas los ist, kann der Mensch Ruhe nur schlecht aushalten. Aber das kann man lernen und trainieren. Eltern können ihren Kindern dabei ein großes Vorbild sein: Nehmen Sie sich immer wieder bewusst Auszeiten, in denen einfach mal Nichts passiert. Sitzen, Tee trinken, die Stille genießen, Pause machen. Das Leben bekommt eine ganz andere Qualität, wenn nicht immer hinter allem ein Ziel steckt.
Vielen Dank für das Gespräch!
Unsere Autorin Bettina Levecke hat mit dem Hamburger Paar- und Einzeltherapeuten Friedhelm Schwiderski gesprochen: Wie schafft man es, dass die schönen Absichten nicht an den Klippen des Alltags stranden?
Bettina Levecke: Neues Jahr, neues Glück: Was macht den Jahreswechsel so attraktiv, um neue Vorsätze zu schmieden?
Friedhelm Schwiderski: Silvester und der Jahreswechsel sind einfach ganz besondere Daten. Der Beginn eines neuen Jahres bedeutet gleichzeitig den Abschied vom alten Jahr. Und wenn es um das Verabschieden geht, blickt man automatisch zurück. Was hat mir im vergangenen Jahr gut gefallen? Welche Momente waren schön? Aber auch: Was ist schief gelaufen? Bei diesem persönlichen Rückblick spürt man auch Sehnsüchte oder man bekommt eine Vorstellung davon, wie man sich sein Leben eigentlich vorstellt.
Und so werden dann natürlich Vorsätze und Wünsche laut, wie das Leben besser sein könnte. Bei vielen Eltern ist das vor allem der Wunsch, mehr Zeit für die Familie zu haben, ganz besonders für die Kinder.
Wieso ist dieser Wunsch so verbreitet? Haben Sie eine Erklärung?
Friedhelm Schwiderski: Das moderne Leben zeichnet sich durch ein extrem hohes Tempo aus. Der Alltag ist sehr dicht, steckt voller Erwartungen, Termine, Aufgaben und Herausforderungen. Ob Beruf, Haushalt, Familie, Freizeit: Die meisten Menschen heute fühlen sich heute zumindest in Teilbereichen überfordert. Wir sehen es an der Häufigkeit der Burn-Out-Erkrankungen oder auch am hohen Krankenstand, dass die Überforderung des Einzelnen längst keine Ausnahme mehr ist. Auch ich erlebe täglich in meiner Praxis, dass es ein tiefes Bedürfnis der Menschen nach mehr Zeit gibt: Man wünscht sich mehr Zeit für die Familie, aber auch speziell für den Partner oder auch für sich selbst. Gerade Eltern laufen häufig mit einem dauerhaft schlechten Gewissen durch das Leben, weil sie sich eigentlich mehr Zeit für ihre Kinder wünschen.
Mit Schule, Hausaufgaben und Hobbies ist der Alltag einer Familie schnell sehr eng terminiert. Kann man da überhaupt gegensteuern?
Friedhelm Schwiderski: Natürlich ist es schwer. Die Erwartungen an das, was man erreichen will und was man seinen Kindern ermöglichen will, sind riesig groß. Und es gibt unendlich viele Wege und Möglichkeiten. Blickt man allein auf die ganzen Angebote zur Förderung von Kindern, kann einem schon schwindlig werden. Nimmt man zu viel davon wahr, kann es aber ganz schnell passieren, dass man das Kind mit dieser Fülle komplett überfordert. Und den Familienalltag auch.
Sie arbeiten auch mit Familien, können Sie ein Beispiel nennen, wie eine klassische Überforderung aussieht?
Friedhelm Schwiderski: Vor kurzem habe ich eine Familie begleitet, die auch beklagte, niemals Zeit zu haben. Vater, Mutter, zwei Kinder. Wir haben uns ein normales Wochenende rausgegriffen und auf eine Liste geschrieben, was an diesen zwei Tagen stattfinden soll. Die Familie kam auf sagenhafte 10 Termine. Wir haben uns diese 10 Termine dann genauer angeschaut und schnell wurde deutlich: Das kann man gar nicht schaffen. Das ist total verrückt! Und dann wurde sortiert: Was wollen wir wirklich? Und was tut uns als Familie auch gut? Wichtig ist ja zunächst auch, erstmal wahrzunehmen, wie sehr man sich überanstrengt und überfordert. Viele Familien sind so an die Hektik gewöhnt, dass sie das als ganz normal betrachten.
Hilft denn dann ein guter Vorsatz überhaupt?
Friedhelm Schwiderski: Natürlich! Das ist der erste Schritt, denn man erklärt eine klare Absicht. Wichtig ist es dann aber, auf diese Absicht auch Taten folgen zu lassen. Wer sich mehr Zeit für die Familie wünscht, muss sich diese nehmen. Und das möglichst konsequent, sonst versickert das schöne Vorhaben ganz schnell.
Wie wird denn aus Absicht Wirklichkeit?
Friedhelm Schwiderski: Ich rate Familien, sich mit dem eigenen Alltag auseinanderzusetzen. Dafür kann man sich an einen Tisch setzen, sich den Terminkalender vorknöpfen und mal genau schauen: Was machen wir da eigentlich von Montag bis Freitag? Muss das alles sein? Kann man Dinge vereinfachen? Wichtig und hilfreich ist es dann, feste Zeiten einzurichten, z.B. einen Abend pro Woche, bei dem die Familie bewusst zusammenkommt. Oder feste Kuschelzeiten, Zeiten für den Partner oder speziell für ein Kind.
Klingt nach Ritualen…
Friedhelm Schwiderski: Genau! Rituale sind ein ganz tolles Mittel, um Familienzeit zu schaffen, denn sie sind verbindlich und vermitteln Kindern Stabilität und Sicherheit. Wenn Dienstags immer Papatag ist und der Papa das dann mal vergisst, kann das Kind ihn direkt dran erinnern. Rituale verinnerlichen sich, das erleichtert die Sache!
Und was macht man am besten in der freigeschaufelten Zeit?
Friedhelm Schwiderski: Der Klassiker: Kaum ist "freie Zeit" da, werden schon wieder Klamotten gepackt um sich in irgendeine Freizeitaktivität zu stürzen. Viele Eltern denken, dass sie die "Qualitäts-Zeit" mit ihren Kindern nur gut gestalten, wenn sie ihnen auch was Besonderes bieten. Letztlich entsteht dadurch aber häufig wieder nur Stress. Zeit füreinander zu haben, bedeutet sich Zeit füreinander zu nehmen - das geht nicht wirklich, wenn man durch einen vollen Freizeitpark läuft. Weniger ist mehr! Es ist zum Beispiel total schön, einfach zusammenzukommen und erstmal gar nichts zu machen. Kuscheln, reden, auf dem Sofa liegen: Warten Sie einfach mal ab, was dann passiert und welche Ideen auftauchen.
Und wenn die Kinder sich dann langweilen?
Friedhelm Schwiderski: Dann ist das mal so. Es ist ja auch eine Frage der Gewöhnung: Wer immer nur Hektik hat, wenn immer der Fernseher läuft oder irgendwas los ist, kann der Mensch Ruhe nur schlecht aushalten. Aber das kann man lernen und trainieren. Eltern können ihren Kindern dabei ein großes Vorbild sein: Nehmen Sie sich immer wieder bewusst Auszeiten, in denen einfach mal Nichts passiert. Sitzen, Tee trinken, die Stille genießen, Pause machen. Das Leben bekommt eine ganz andere Qualität, wenn nicht immer hinter allem ein Ziel steckt.
Vielen Dank für das Gespräch!
Über den Autor/die Autorin
Bettina Levecke ist freie Journalistin aus der Nähe von Bremen. Ihre Themenschwerpunkte sind Gesundheit, Familie und Nachhaltigkeit.